Der lyrische Tenor Nicolai Gedda war ein sehr vielseitiger Sänger, das bezeugen unzählige Studioaufnahmen. Viele Opernpartien hat Gedda aber auch auf der Bühne verkörpert. Dabei sang er nur, was für seine Stimme gesund war. Wagner kam für ihn nicht in Frage. So bewahrte er sich bis ins hohe Alter eine frische, fast jugendliche Stimme. Am 11. Juli 2020 wäre Nicolai Gedda 95 Jahre alt geworden.
Bildquelle: United Archives / Helmut Reiss/Süddeutsche Zeitung Photo
Nicolai Gedda, der Schwede mit halbrussischem Vater, wächst bei seiner Tante auf und verbringt seine Kindheit in Stockholm und Leipzig. Er ist von Noten früher umgeben als von Buchstaben.
Ich hatte von Natur aus eine hohe, leichte, nicht sehr große Stimme.
Der Stiefvater ist Kantor der russisch-orthodoxen Gemeinde. Und Nicolai spitzt von Anfang an die Ohren: "Ich habe als Kind Noten gelesen wie ein Buch. Das ist sehr wichtig, weil in der russischen Kirche a cappella gesungen wird, also ohne Instrument. Das hat auch mein Gehör entwickelt."
Dass er professionell singen will, merkt Nicolai Gedda als Bankangestellter mit Mitte zwanzig in Stockholm. Ein Kunde empfielt ihm den Heldentenor Karl Martin Oehmann als Lehrer. Gedda lernt von ihm alles, was Atemtechnik, Registerwechsel und das richtige Denken der Stimme betrifft. Besonders wichtig wird es dem Tenor, auf seine Gesundheit zu achten: "Ohne Gesundheit geht überhaupt nichts. Und wie bleibt man gesund? Man hat Glück, aber es ist auch sehr wichtig, ein Leben zu führen, das ein Sänger, der seinen Körper und seine Stimme behalten will, führen muss."
1952 debütiert Gedda in Stockholm im "Postillion von Lonjumeau". Seine hohen 'd's sind eine Sensation. Und sein Name macht die Runde. Produzent Walter Legge hört ihn bei einem Vorsingen mit Mozart und dem Don José aus Bizets "Carmen" und engagiert ihn vom Fleck weg für die erste nicht-russische Studioaufnahme von Mussorgskys Oper "Boris Godunow".
Anlässlich seines 95. Geburtstags zeigt das BR Fernsehen am Dienstag den 14. Juli ab 23.45 Uhr die einstündige Dokumentation "Nicolai Gedda - Ritter des hohen D".
Für Gedda kein Problem: Russisch ist neben Schwedisch und Deutsch eine seiner Muttersprachen. Mittlerweile kann er akzentfrei auch Englisch, Französisch und Italienisch. Die Opernwelt und die Tenorpartien stehen ihm offen. 1953 das Debüt an der Scala, 1954 Paris und Covent Garden in London, 1957 die Met in New York. Hier wird Gedda in den nächsten Jahrzehnten knapp dreißig verschiedene Partien singen, darunter die Uraufführung von Samuel Barbers "Vanessa". Sein Hauptrepertoire: das französische, italienische und russische Fach des 19. Jahrhunderts – und immer wieder Mozart.
Dass Nicolai Geddas Stimme eine lange und erfolgreiche Karriere fast ohne Verschleiß und in wunderbarer Leichtigkeit durch- und überlebt, liegt an seiner fulminanten Gesangstechnik und der Perfektion der "voix mixte", der Mischung aus Brust- und Kopfstimme, die Registerwechsel zum Kinderspiel werden lässt. Es liegt aber auch an Geddas intuitiver Klugheit. Wagners "Lohengrin" singt er einmal, mit Bravour – und probiert es nie wieder: "Ich habe mit 'Lohengrin' nur einen Versuch gemacht. Und das in dem kleinen Theater in Stockholm. Es ging gut, war ein großer Erfolg, aber ich habe sofort gespürt, dass das nichts für meine Stimme ist."
Eine lyrische Stimme soll nicht Wagner singen.
Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug, sagte Epikur. Nicolai Gedda wusste wie kein Zweiter um seine stimmlichen Möglichkeiten und wurde dafür mit einer Bilderbuchkarriere beschenkt, oder wie der Kulturwissenschaftler Jens Malte Fischer resümiert: "Wer für Singen als Kunst etwas übrig hat, der fühlte und fühlt sich bei Gedda immer aufgehoben wie in Abrahams Schoß."
Sendung: "Piazza" am 11. Juli ab 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Sonntag, 12.Juli, 13:19 Uhr
Bfussmann@t-online.de
Gruss von A.
Können wir viell. am Di. gucken
Sonntag, 12.Juli, 08:14 Uhr
J.K.
Nicolai Gedda
Ein SEHR guter Beitrag.
Danke.
J.K.
Samstag, 11.Juli, 21:27 Uhr
Sabine Wee
Danke
Für den tollen Artikel.