Oksana Lyniv wird 2021 bei den Bayreuther Festspielen dirigieren – als erste Frau überhaupt. Die ukrainische Dirigentin wird die Premiere der Wagner-Oper "Der fliegende Holländer" leiten. Zuletzt war Oksana Lyniv Chefdirigentin an der Oper in Graz. Wie sie mit ihrer besonderen Rolle umgeht und welche Erwartungen sie an ihre Zeit in Bayreuth hat, erzählt die 42-Jährige im Gespräch mit BR-KLASSIK.
Bildquelle: Oksana Lyniv, Fotograf: Serhiy Horobets
BR-KLASSIK: Oksana Lyniv, Sie werden als erste Frau bei den Bayreuther Festspielen 2021 dirigieren. Kam diese Mitteilung für Sie überraschend?
Oksana Lyniv: Ja, als ich 2018 die erste E-Mail mit der Anfrage bekam, war ich richtig sprachlos. Jetzt, nach der offiziellen Ankündigung bekomme ich E-Mails und Kommentare aus aller Welt. Es bewegt viele Leute, dass gerade eine so große Veränderung in unserer Gesellschaft stattfindet.
BR-KLASSIK: Das heißt, Sie haben es geschafft, seit 2018 stillzuhalten ...
Oksana Lyniv: Das war sehr schwierig, weil in internen Kreisen die Info schon durchgesickert ist und Journalisten immer diese Frage provoziert haben. Jetzt kann ich mich darauf freuen, weil es offiziell ist und ich mich direkt darauf vorbereiten und konzentrieren kann.
BR-KLASSIK: Sie stehen bei Ihrem Debüt in Bayreuth als "erste Frau am Pult" im Scheinwerferlicht. Wie gehen Sie mit dem Druck um?
Oksana Lyniv: Die Erwartungen sind natürlich enorm – von der Außenwelt und auch von mir selbst. Die Aufgabe ist sehr schwierig. Ich sage es ganz offen: Der nervliche Druck ist eine größere Herausforderung als die musikalische Vorbereitung.
Ich konnte vier Nächte lang nicht schlafen. Diese Aufgabe zu bekommen, ist eine große Mission.
BR-KLASSIK: Und was machen Sie, damit Ihre Nerven ganz stark bleiben?
Erst Assistentin von Kirill Petrenko, dann Chefdirigentin in Graz und bald bei den Bayreuther Festspielen: die Dirigentin Oksana Lyniv. | Bildquelle: © Oleg Pavlyuchenkiy Oksana Lyniv: Da kann man nichts machen. Man muss diese große Aufregung erst mal erleben. Obwohl ich es seit 2018 weiß und es einen unterschriebenen Vertrag gibt, konnte ich seit der offiziellen Ankündigung vier Nächte lang nicht schlafen. Ich bin um zwei oder drei Uhr morgens aufgewacht, weil mir alles nochmal durch den Kopf gegangen ist. Mit mit den ganzen Gefühlen bin ich innerlich explodiert. Wagner hat mir schon immer sehr viel bedeutet. Diese Aufgabe zu bekommen, ist wirklich eine große Mission.
BR-KLASSIK: War es Ihr Traum, den "Fliegenden Holländer" zu leiten oder hätten Sie in Bayreuth alles dirigiert, was man Ihnen anbietet?
Oksana Lyniv: Ich freue mich, dass die Anfrage zum "Fliegenden Holländer" kam. Mit der Oper habe ich schon ein bisschen Erfahrung, da ich 2017 am Teatro del Liceu in Barcelona schon eine Produktion des "Holländers" geleitet habe. Ich kenne die Ecken und Kanten dieses Stücks und weiß, worauf ich achten muss. Aber es wird nicht einfach sein, den "Fliegenden Holländer" direkt in Bayreuth zu machen, weil Wagner diese Oper nicht für Bayreuth geschrieben hat. Erst 1901, also nach Wagners Tod, wurde "Der Fliegende Holländer" erstmals in Bayreuth aufgeführt. Die Musik ist unglaublich intensiv. Aber das Wichtigste in Bayreuth ist ein gutes Team, das ich hinter mir habe; das sind die Assistenten, die im Saal sitzen und mir ehrlich Bescheid geben, ob etwas funktioniert oder nicht.
Oksana Lyniv, geboren 1978 in Brody/Ukraine, studierte Dirigieren u. a. an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden. Von 2008 bis 2013 war sie stellvertretende Chefdirigentin am Akademischen Nationaltheater Odessa. Anschließend war sie vier Jahre lang an der Bayerischen Staatsoper als Assistentin des Generalmusikdirektors Kirill Petrenko engagiert. Von 2017 bis 2020 war Oksana Lyniv Chefdirigentin der Oper Graz.
BR-KLASSIK: Hätten Sie ein Problem damit, wenn neben Ihren Assistenten auch Christian Thielemann, der Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, im Festspielhaus sitzt und Ihre Proben beobachtet?
Oksana Lyniv: Nein, ich diskutiere gern über Musik und Interpretationen. Es ist sehr interessant, wenn man sich mit Kollegen austauschen kann. Was die technische und musikalische Umsetzung betrifft, kann ich nur froh sein, mehrere Meinungen zu hören. Aber entscheiden muss ich selbst. Ich stehe ja am Ende allein am Pult und trage die Verantwortung für die Leistung.
Wenn ich lese, wie Dirigentinnen früher wegen ihres Berufs verhöhnt wurden, ist das schrecklich und unglaublich.
BR-KLASSIK: Wir sind im Herbst 2020, Ihr Engagement als erste Dirigentin bei den Bayreuther Festspielen ging groß durch die Presse. Hat sich im Verhalten gegenüber Frauen am Dirigentenpult in den vergangenen Jahren etwas verändert?
Die erste Dirigentin bei den Bayreuther Festspielen zu sein, ist für Oksana Lyniv "eine unglaubliche Ehre". | Bildquelle: Oksana Lyniv, Fotograf: Serhiy Horobets Oksana Lyniv: In den vergangenen fünf Jahren hat sich unsere Gesellschaft in großen Schritten weiterentwickelt. Ich habe meine Kollegin Joana Mallwitz bei den Salzburger Festspielen in diesem Sommer mit großer Freude beobachtet. Jetzt freue ich mich, beim RSO Wien mein Debüt zu geben, wo Marin Alsop Chefdirigentin ist. Man sieht auch, dass junge Dirigentinnen, die gerade erst ihre Ausbildung beendet haben, sehr viel schneller als vor zehn Jahren Einladungen zu Produktionen in aller Welt bekommen. Sehr berühren mich noch die Geschichten von den allerersten Dirigentinnen, die am Pult der Berliner Philharmoniker standen. Von Antonia Brico oder von Sylvia Caduff, die für den erkrankten Karajan einsprang. Wenn ich lese, wie Dirigentinnen damals wegen ihres Berufs verhöhnt und verspottet wurden, wie die Kritiker meist nur darüber schrieben, wie hoch der Absatz ihrer Schuhe war, ob sie beim Fortissimo rot wurden oder geschwitzt haben, dann ist das schrecklich und unglaublich. Man kann wirklich nur sagen: Endlich, wenn auch vielleicht zwanzig Jahre zu spät, ändert sich auch auf dem hohen Niveau der Klassikwelt etwas. Für mich ist es natürlich eine unglaubliche Ehre, dass die Aufgabe der "ersten Dirigentin in Bayreuth" jetzt auf mich fällt. Aber wenn eine Kollegin diese Rolle übernommen hätte, hätte ich mich genauso gefreut.
Sendung: "Leporello" am 25. September 2020 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Montag, 28.September, 20:28 Uhr
Wilfried Schneider
Oksana Lyniv
Glückwünsche und toi, toi, toi für Frau Lyniv, sie hat sich dieses Engagement mehr als verdient.