Die Ukraine in den Nachrichten: Politische Unruhe, Schreckensbilder, Bürgerkrieg. Die Dirigentin Oksana Lyniv bringt jetzt Musik ihrer Heimat nach München. Damit will sie uns für ihr Land sensibilisieren - künstlerisch und politisch.
Bildquelle: Bayerische Staatsoper
BR-KLASSIK: Sie dirigieren am 4. Dezember ein besonderes Konzert. Es werden ausschließlich Werke von ukrainischen Komponisten auf dem Programm stehen. Was bedeutet Ihnen das als gebürtige Ukrainerin?
Oksana Lyniv: Mich haben schon mehrere Menschen darauf angesprochen, doch mal ein solches Konzert zu geben. Wie alle wissen, hat sich im November 2013 Dramatisches in der Ukraine ereignet. Das Land rückte plötzlich international in den Fokus. Alle haben sich gefragt: Was passiert da? Was sind das für Menschen? Wofür kämpfen sie? Auch deshalb kamen wir auf die Idee, uns künstlerisch auszudrücken. Das konnte jetzt durch finanzielle Unterstützung aus Kiew und München zustande kommen. Auf dem Programm sind einige sehr markante Komponisten vertreten.
BR-KLASSIK: Werden auch einige Komponisten beim Konzert zu Gast sein?
Oksana Lyniv: Nein, die werden nicht selbst kommen. Aber ich kenne viele von ihnen persönlich. Und ich freue mich sehr, diese Stücke hier spielen zu können. Es sind Werke des 20. Jahrhunderts, die versuchen, die Philosophie der ukrainischen Mentalität auszudrücken.
Meine Heimat ist immer bei mir - egal wo ich bin.
BR-KLASSIK: Es handelt sich ja um zeitgenössische Komponisten. Wie dürfen wir uns den Klang dieser Musik vorstellen? Enthält sie auch Folkloristisches?
Oksana Lyniv: Ein bisschen schon. Mykola Kolessa verwendet in seiner Suite "In den Bergen" beispielsweise Melodien der Huzulen. Das ist ein kleines Bergvolk in den Karpaten. Auch die besondere tänzerische Rhythmik, die Harmonien und Farben in Lanjuks "Shchedryk“ wird, denke ich, jeder erkennen. Das ist diese berühmte Melodie aus "Carol of the Bells", ein Weihnachtslied. Es ist durch viele Bearbeitungen in der ganzen Welt bekannt. Ursprünglich handelt es sich aber um ein traditionell ukrainisches Weihnachtslied. Im Text geht es darum, dass an Weihnachten die Schwalben kommen, um den ersten Frühlingstag zu verkünden und zu sagen, dass jetzt alles wieder neu geboren wird. Dieses Lied war in der Bevölkerung sehr verbreitet. Und auch der zeitgenössische Komponist Jurij Lanjuk hat die Melodie für sein Stück verwendet und eine Bearbeitung für Streichorchester daraus gemacht.
BR-KLASSIK: Wie geht es Ihnen, wenn Sie diese Musik dirigieren? Holt das ein bisschen Ihre Heimat nach München?
Oksana Lyniv: Ja, schon. Aber meine Heimat ist immer bei mir, egal wo ich bin. Das kann ich gar nicht von mir trennen. Deswegen ist es mir auch wichtig, Werke von Komponisten zu dirigieren, die ganz stark mit ukrainischen klassischen Werken zu tun haben.
BR-KLASSIK: Sie haben mit diesen ukrainischen Komponisten ja etwas gemeinsam: Sie alle sind Künstler, und das zu einer Zeit, wo immer mehr Künstler auch politisch Haltung beziehen. In dem Magazin "Max Joseph" von der Bayerischen Staatsoper werden Sie so zitiert: "Je mehr Menschen über die ukrainische Kultur Bescheid wissen, desto weniger leicht manipulierbar sind sie - etwa auch durch russische Popmusik und ähnliches. Gerade deshalb ist jetzt der Zeitpunkt, im Ausland mehr von der Ukraine und ihrer Kultur zu erzählen." Wollen Sie mir ein Beispiel geben: Was soll ich denn von der Ukraine erfahren? Wo möchten Sie aufklären, wenn Sie das hier nach München bringen?
Bildquelle: Bayerische Staatsoper Oksana Lyniv: Ukrainische Komponisten sind in der Welt nicht sehr bekannt. Dabei haben wir auch etwas vorzuweisen. Wir haben interessante Bühnenwerke und Konzertstücke. Ich freue mich zum Beispiel auf die nächsten Projekte, die ich jetzt organisieren werde. Die Ukraine wird ein Teil des Campus-Projekts beim Beethovenfest Bonn sein. Ein von mir neu gegründetes ukrainisches Jugendorchester wird zusammen mit dem Bundesjugendorchester Deutschland eine gemeinsame Probenphase und Konzerttournee machen - mit großen klassischen Werken von deutschen und auch ukrainischen Komponisten. Das ist eine wunderschöne Austauschmöglichkeit.
BR-KLASSIK: Also kann Musik auch politisch etwas verändern?
Oksana Lyniv: Ich glaube, ja. Mehr Menschen müssen verstehen, dass es nichts gibt, worum es sich zu streiten lohnt. Wir müssen uns als eine eine Gesellschaft verstehen, über Landesgrenzen hinweg. Jetzt - zwei Jahre nachdem in der Ukraine beinahe ein neuer europaweiter Krieg ausgebrochen wäre - haben plötzlich alle verstanden, dass die Grenzen eigentlich nicht existieren. Es kann sehr schnell passieren, dass man in schreckliche Kämpfe hineingezogen wird, und zwar jedem. Deshalb gehen solche Konflikte jeden etwas an. Auch die Menschen, die jetzt in Deutschland in einer wunderschönen humanistischen Gesellschaft leben.
Das Interview für BR-KLASSIK führte Kathrin Hasselbeck.
Sonntag, 4. Dezember 2016, 17.00 Uhr
Anton-Fingerle-Zentrum, München
Ukrainische Kammermusik
Neues Münchener Kammerorchester
Oksana Lyniv, Leitung