Die Absage des beliebten Festivals "Klassik Open Air" im Luitpoldhain stößt in der Nürnberger Kulturszene auf Unverständnis. In einem offenen Brief an die Bayerische Staatsregierung haben die Orchestervorstände der Staatsphilharmonie Nürnberg und der Nürnberger Symphoniker nun ihrem Unmut Luft gemacht.
Bildquelle: © Julia Fleiner
Dass in der Allianz-Arena während der Fußball-Europameisterschaft 14.500 Zuschauer Platz fanden, während die geplanten 8.000 Personen im Publikum bei "Klassik Open Air" nicht genehmigt wurden, ruft bei den Nürnberger Orchestervorständen "absolutes Unverständnis" hervor. In einem Schreiben an Ministerpräsident Markus Söder und Staatsminister Bernd Sibler kritisieren sie nun diese Ungleichbehandlung von Sport- und Kulturveranstaltungen.
Es werde "mit zweierlei Maß gemessen", beschweren sich die Orchestervorstände. Dabei rechnen sie vor: In der Allianz-Arena gab es 2,6 Quadratmeter Platz pro Person, am Nürnberger Luitpoldhain hätte es 6,9 Quadratmeter Platz gegeben, falls das Festival wie geplant mit 8.000 Besucherinnen und Besuchern hätte stattfinden können. "Ist die Gesellschaft derjenigen Menschen, die solche kulturellen Angebote nutzen weniger wichtig, als die Gesellschaft derjenigen, die gerne Fußball schauen?", lautet die kritische Frage an die Staatsregierung.
Auch die Münchner Open-Air-Veranstaltung "Klassik am Odeonsplatz" ziehen die Orchestervorstände als Vergleich heran. Es sei erfreulich, dass es gelungen ist, auf einer Fläche, die für 8.000 Zuschauer ausgelegt ist, ein Publikum von 2.000 Zuschauern zuzulassen. Das entspricht einer Belegung von 25 Prozent. Weshalb eine solche Sondergenehmigung aber für Nürnberg nicht möglich war, können die Verfasser des Briefs nicht nachvollziehen. "Ist die Mühe eine individuelle Lösung auch für Nürnberg zu finden zu groß?", heißt es weiter im Schreiben an Söder und Sibler.
Erneut diesem Fest der Musik beraubt zu werden, ist für uns eine niederschmetternde Erfahrung.
Joana Mallwitz, Generalmusikdirektorin des Staatstheaters Nürnberg, dirigiert das Klassik Open Air 2019. | Bildquelle: © Uwe Niklas / Klassik Open Air Nürnberg
Das "Klassik Open Air" und "Stars im Luitpoldhain" zählen zu den kulturellen Highlights des Nürnberger Musiksommers. Normalerweise finden beim "Klassik Open Air" im Nürnberger Luitpoldhain bis zu 80.000 Menschen Platz. In diesem Jahr hätten die Konzerte trotz sinkender Infektionszahlen mit einer maximalen Besucherzahl von lediglich 1.500 Menschen im Pilotversuchsverfahren stattfinden können. Mit dem ursprünglich intendierten Charakter der Veranstaltungen als Kulturfest sei dies unvereinbar, daher habe man sich entschlossen, die Veranstaltungen ausfallen zu lassen. Das gab die Stadt Nürnberg am 2. Juli bekannt.
"Erneut diesem Fest der Musik beraubt zu werden, ist für uns eine niederschmetternde Erfahrung, denn es hindert uns nachhaltig, den lang ersehnten und dringend notwendigen Kontakt zu unserem Publikum wiederaufzubauen", so die Vertreter der beiden Nürnberger Orchester. Von Markus Söder und Bernd Sibler hätten sie sich "einen größeren Einsatz für die Nürnberger Kultur und für die Nürnberger Stadtbevölkerung gewünscht und erwartet".
Sendung: "Leporello" am 6. Juli 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Freitag, 09.Juli, 08:54 Uhr
Thielemann
Skandalös
Eine Fausthieb in die Magengrube für die Kultur. Es ist nicht die Kunst, die immer uninteressanter wird, es sind die Menschen, die immer unempfänglicher werden für Qualität und Niveau - und solche, denen das Niveau fehlt, aber die Entscheidungsgewalt gegeben ist. Da sitzen Leute am Schreibtisch, die sonst wohl nur Fußball schauen, und entscheiden solche Dinge rein bürokratisch und zerstören damit ganze Welten. Alle Menschen haben das Recht auf Kunst. Genau so wie auf Fußball. Und jetzt packt doch noch mal jemand die Besucherzahlen der klassischen Konzerte und Fußballspiele aus, vergleicht und stellt fest, dass Fußballzuschauer nur ein kleiner Bruchteil der Klassikkonzertgänger sind!
Donnerstag, 08.Juli, 20:50 Uhr
Dagmar Treuheit
Open air 2021 wieder abgesagt!
Es ist erschütternd, dass dem Fußball mehr Wichtigkeit gegeben wird als der Kultur! Es lässt mich an der guten Absicht der Politik massiv zweifeln. Diese ganzen Reglementierungen sind eine unglaubliche Angstpropaganda, damit Pharmaindustrie und die milliardenschweren Hintermänner noch reicher werden. Die Menschheit wird ihrer Gier geopfert. Bei Klängen von z. B. Pastorale von L. v. Beethoven wird uns, Menschen bewusst, dass wir göttliche Geschöpfe sind mit einem großartigen Potential Gutes zu tun und das möchte man wohl unterbinden??
Mittwoch, 07.Juli, 16:50 Uhr
renovatio06
Kultur ganz unten?
Offenbar rangiert Kultur ganz unten auf der gesellschaftlichen Leiter. Das war hierzulande mal ganz anders. Es ist empörend und enttäuschend, wie offenkundig hier die Sportbranche und -szene gegenüber den Kulturfreunden:innen bevorzugt wird. Inzwischen wird niemand mehr bestreiten können, dass da ganz offenkundig mit zweierlei Maß gemessen wird und wurde. Der Protest der Orchestervorstände ist für mich maximal angemessen!