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Kritik - Wagners "Parsifal" in Wien Der heilige Gral als leuchtendes Gehirn

Einige Buhrufe haben sich in den tosenden Premierenapplaus eingeschlichen. Die galten ziemlich eindeutig Regisseur Alvis Hermanis und seinem Team. Sehnsüchtig wurde diese Neuproduktion von den Wiener Wagnerianern erwartet: Und nun wurde er doch eher gewöhnungsbedürftig - der neue "Parsifal".

Szenenfoto aus "Parsifal" an der Wiener Staatsoper | Bildquelle: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Bildquelle: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Schon im Vorfeld hatte man gehört, dass Regisseur Alvis Hermanis "Parsifal" in die Zeit der Jahrhundertwende verlegen wolle - und sich nichts Böses dabei dachte. Ist das doch eine optisch sehr ansprechende Zeit. Aber als sich an diesem Abend der Vorhang hebt, befindet man sich nicht etwa in der Otto Wagnerkirche, sondern in der Psychiatrie Steinhof. "Parsifal" im Sanatorium für psychisch Erkrankte: Kundry wird in eine Zwangsjacke gesteckt und landet prompt im Gitterbett. Gurnemanz ist der Professor im weißen Mantel, der blutige Gehirnoperationen vornimmt und auf dessen Couch à la Sigmund Freud sich Kundry niederlegt.

Der heilige Gral ist ein Gehirn, das ab und an zum Leuchten gebracht wird. Amforts Wunde geht durch den Schädel von einer Seite zur anderen. Die Blumenmädchen steigen von Operationsbahren, sind aber immerhin hübsch anzusehen: mit ihren Klimt-Frisuren und den cremefarbenen Kleidern. Statt der Gralsritter treten Persönlichkeiten der Wiener Moderne auf - von Klimt bis Freud und von Kraus bis Altenberg.

Missverständliche Metapher & langatmige Interpretation

Alvis Hermanis will eine Metapher für jene Zeit, als die Moderne auf die Zukunft traf, und sieht spirituelle Themen wie Schuld, Tod und Auferstehung durchaus auf heute bezogen. Bloß, dieser Gedankengang kommt beim Großteil des Publikums gar nicht an. Das Wiener Staatsopernorchester wird von Semyon Bychkov geleitet: Sehr ausladend, manchmal selbst für eingefleischte Wagnerianer qualvoll langatmig, schöpft er alles, was an Lautstärke in der Partitur geschrieben steht, aus.

Prominente Stimmen

Die Besetzung ist prominent: einspringenderweise René Pape als Gurnemanz, sein Timbre ist ziemlich hell, die Tiefen lassen zu wünschen übrig, die Stimme hat an Glanz verloren. Trotzdem bekommt er die größten Ovationen des Abends. Christophe Ventris "Erbarmen" bleibt unterdimensioniert wie vieles andere auch, Gerald Finley ist ein kultivierter Amfortas, Jochen Schmeckenbecher: ein packender Klingsor. Allen voran steht aber eine unglaublich intensive Nina Stemme als Kundry. Allein für sie lohnt es sich zu kommen. Insgesamt ist das ein "Parsifal", mit dem das Wiener Publikum sich arrangieren wird müssen. Doch mit der Zeit wird man sich wahrscheinlich daran gewöhnen.

"Parsifal" an der Wiener Staatsoper

Besetzung:
Dirigent Semyon Bychkov
Regie und Bühne Alvis Hermanis
Kostüme Kristine Jurjane

Amfortas Gerald Finley
Gurnemanz René Pape
Parsifal Christopher Ventris
Klingsor Jochen Schmeckenbecher
Kundry Nina Stemme
Titurel Jongmin Park

Nächste Vorstellungen: 2., 6., 9. und 13. April.

Weitere Infos finden Sie unter wiener-staatsoper.at

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