Millionen lieben seine pulsierenden Dreiklänge: Der Amerikaner Philip Glass ist der Superstar der Minimal Music. Er hat David Bowie und Brian Eno beeinflusst, mit Woody Allen und Leonard Cohen zusammengearbeitet. Seine Opern wie "Einstein on the Beach" und Soundtracks zu Filmen wie "The Hours" genießen Kultstatus. Am 31. Januar wird Philip Glass 85 Jahre alt.
"Er tut nichts lieber als Komponieren. Es ist das, was ihm am Leben am meisten Freude bringt." So erklärt der Dirigent Dennis Russell Davies die ungebrochene Produktivität seines Freundes Philip Glass. Wirklich unglaublich: Um die 30 Opern hat Glass geschrieben, rund 50 Soundtracks, daneben Streichquartette genauso wie Klavieretüden. Und nun im April wird in der Carnegie Hall seine 13. Sinfonie uraufgeführt.
Für Philip Glass ist das Notenschreiben so natürlich ist wie für andere Menschen das Atmen. Er könne auch komponieren, wenn es sehr laut um ihn herum sei, so Glass. "Wahrscheinlich deshalb, weil ich früher in unserer kleinen Wohnung oft am Küchentisch komponieren musste, während meine kleinen, lauten Kinder ferngesehen haben." Er musste also lernen, sich zu konzentrieren.
Erstaunlich, dass Glass, der wie kein Zweiter Musik lebt, jahrzehntelang nicht von seiner Musik leben konnte. Bis Anfang 40 hielt er sich als Taxifahrer über Wasser (und sogar als Klempner, was ihm, so Davies, bis heute bei gewissen Alltagsproblemen hilft). Damals, in der 1970ern, hatte er schon sein eigenes Ensemble gegründet und erste Erfolge in der New Yorker Kunstszene gefeiert. Er hatte sich – nach Studien bei Darius Milhaud und Nadia Boulanger – abgekehrt von der dominierenden Zwölftonmusik, die Kraft der Tonalität wiederentdeckt und sich als Assistent von Ravi Shankar Rhythmus und Zeitgefühl der indischen Musik angeeignet.
Und so hatte er seinen Stil gefunden: Einfachste Elemente, unablässig wiederholt und unmerklich verändert, wuchsen an zu überwältigenden mehrstündigen Mammutwerken. Aus kleinsten Motivbausteinen errichtete er riesige Klang-Wolkenkratzer. Viele seiner besten Werke entstanden damals in den 1970ern: die "Music With Changing Parts" zum Beispiel mit ihrem typischen Glass-Sound, geprägt von Saxophonen und Keyboards. Oder dann, 1976, das legendäre Musiktheaterstück "Einstein on the Beach", mit dem Glass, nicht zuletzt dank der betörend rätselhaften Bilder von Robert Wilson, der Durchbruch gelang.
Als die Magie der Wiederholung vom Markenzeichen zur Masche zu werden drohte, hat Philip Glass seine Musik hin zu spätromantischer Harmonik und orchestraler Opulenz geöffnet. Nicht immer ist das geglückt. Zwar sind seine Partituren fülliger und komplexer geworden, oft aber auch routinierter und spannungsärmer. Denn ob er nun Filmmusik schreibt oder Kafka vertont: Glass klingt immer wie Glass.
Das hat viele Kritiker blind werden lassen für die Qualitäten seiner Kompositionen. Doch Opern wie "Satyagraha" oder "Akhnaten" entfalten auch vier Jahrzehnte nach ihrer Uraufführung noch eine faszinierende Sogkraft, die Raffinesse seiner Klavieretüden fordert eine Vielzahl junger Interpreten heraus, und dem unwiderstehlichen Drive seiner Tanz-Stücke kann sich kaum jemand entziehen. Dem Zeitgeist hat sich Philip Glass nie unterworfen – er hat ihn mitgeprägt. Seine Musik ist der Soundtrack zu unserer schnelllebigen Epoche.
Sendung: "Allegro" am 31. Januar 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK