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Pianist Rudolf Buchbinder "Ironie ist die Würze des Lebens"

Rudolf Buchbinder ist während der laufenden Saison des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks Artist in Residence. In dieser Woche hatte er in München ein straffes Programm zu absolvieren. Im Interview spricht er über den Wert der Ironie für eine langjährige Ehe und über seine Begegnungen mit Joachim Kaiser.

Pianist Rudolf Buchbinder | Bildquelle: picture alliance/APA/picturedesk.com

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BR-KLASSIK: Herr Buchbinder, Sie sind Artist in Residence beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks - in dieser Woche kam Ihre Residence so richtig in Fahrt, ein Termin hat eigentlich den anderen gejagt, oder?

Rudolf Buchbinder: Abgesehen von den beiden Konzerten mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Lahav Shani mit dem Zweiten Klavierkonzert von Brahms und den dazugehörigen Proben absolvierte ich ja bereits ein Kammerkonzert mit Mitgliedern des Symphonieorchesters - und zwar spielten wir die Quintette von Schumann und von Dvorak - Lieblingsstücke von mir - und dann hatte ich auch noch eine kleine Meisterklasse, wo ich junge Talente versuchte, Beethoven etwas näherzubringen.

BR-KLASSIK: Bei so einem Kammermusikabend mit Konzertmeister und Stimmführern aus dem Symphonieorchester, mit dem sie das Brahms-Konzert spielen - da lernt man mal die Musikerinnen und Musiker von einer ganz anderen Seite auch näher kennen.

Rudolf Buchbinder: Gut, wir kennen uns schon von früher, von mehrmaligen Auftritten, ich habe zuletzt ja mit Mariss Jansons hier gespielt, das war im Herbst vorigen Jahres. Es ist ein hervorragendes Orchester, dementsprechend sind auch die einzelnen Musiker hervorragende Solisten und das macht richtig Spaß, mit ihnen zu musizieren.

BR-KLASSIK: Versteht man sich da auf Anhieb?

Rudolf Buchbinder: Man muss sie auf Anhieb verstehen. Wenn es nicht funktioniert, dann sind auch 20 Proben zu wenig. Ich bin gegen jeden Kompromiss. Jeder muss so spielen wie er will und das muss zusammenpassen.

BR-KLASSIK: Wer gibt die Einsätze bei so einem Kammermusikabend?

Rudolf Buchbinder: Wir atmen zusammen. Die Einsätze kommen automatisch mit der gemeinsamen Bewegung, mit dem gemeinsamen Atmen.

BR-KLASSIK: Haben Sie schon vor München mit den vier Musikern - es ist ja ein Streichquartett - geprobt?

Rudolf Buchbinder: Ja, wir hatten eine ausführliche Probe in Wien, als das Orchester zum Gastspiel in Wien im Musikverein spielte. Da nutzten wir die Gelegenheit, uns einmal näher kennenzulernen und anständig zu proben.

BR-KLASSIK: Toll finde ich, dass der Cellist aus dem Ensemble, Lionel Cottet, ja dann auch im zweiten Brahms-Klavierkonzert das Solo-Cello in dem schönen Andante spielt.

Rudolf Buchbinder: Man wirft sich dann die Bälle gegenseitig zu und das ist, glaube ich, einer der schönsten Momente: dieser dritte Satz, wenn das Solo-Cello beginnt.

Pianisten lernen nicht zu phrasieren
Rudolf Buchbinder

BR-KLASSIK: Die Kammermusik führt eigentlich, Herr Buchbinder, zu Ihren Anfängen zurück. Was kaum einer weiß: Dass Sie 1961 mit Ihrem Klaviertrio von damals, dem jungen Wiener Trio, den Ersten Preis beim ARD-Musikwettbewerb gewonnen haben. Und dann haben Sie weiterhin Klaviertrio gespielt mit Josef Suk und János Starker.

Rudolf Buchbinder: Kammermusik war immer ein ganz wichtiger Bestandteil meines Musikerlebens. Sie dürfen eines nicht vergessen: Wir Pianisten, wir lernen nicht Phrasieren. Ein Geiger muss sich Gedanken machen über Aufstrich, Abstrich, ein Bläser lernt zu atmen - wir artikulieren falsch. Und ich sage immer, wenn wir einmal zufällig richtig phrasieren, steigen wir aufs Pedal und es ist schon wieder alles kaputt. Man muss das Zuhören lernen. Das ist ganz wichtig.

BR-KLASSIK: Können Sie sich an damals noch erinnern, an den Wettbewerb hier in München 1961?

Rudolf Buchbinder | Bildquelle: BR Bildquelle: BR Rudolf Buchbinder: Es ist eine wunderbare Geschichte, weil es gab ja ein Alterslimit - von 18 bis 31, ich weiß es jetzt nicht mehr - und in den Statuten stand, ein Mitglied des Ensembles darf älter sein, worauf wir ziemlich erbost geschrieben haben, das sei eigentlich ungerecht, warum kann nicht auch ein Ensemblemitglied jünger sein? Das war ich. Ich war damals 15. Und die haben dann gesagt, an sich hätten wir recht. Und so wurde uns die Teilnahme doch bewilligt.

BR-KLASSIK: Es gab in dieser Woche auch Ihre Meisterklasse für junge Pianisten. An welchen Werken haben Sie da gearbeitet?

Rudolf Buchbinder: An drei verschiedenen Beethoven-Sonaten und es war richtig erfreulich, mit diesen jungen Leuten zu arbeiten, ihnen etwas zu erklären. Ja, das hat viel Freude gemacht.

BR-KLASSIK: Beethoven ist ja eine absolute Spezialität von Ihnen.

Rudolf Buchbinder: Schauen Sie, ich spiele Bach genauso gerne wie zeitgenössische Musik, es sind mir viele Werke gewidmet worden. Das Gershwin-Konzert zum Beispiel ist eins meiner meistgespielten Konzerte. Das spielte ich seinerzeit mit Lorin Maazel auf einer ausgedehnten Tournee mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Und was ich fantastisch fand: die Zusammenstellung des Programms damals. Ich weigere mich, Gershwin in einer sogenannten American-Gala zu spielen. Damit wird er absolut unterschätzt. Das Programm lautete damals: Gershwins Klavierkonzert im ersten Teil und Schuberts C-Dur-Symphonie im zweiten Teil. Und das passte fantastisch zusammen, weil für mich ist Gershwin ein klassischer Komponist, so wie Mozart, Brahms oder Tschaikowsky.

BR-KLASSIK: Herr Buchbinder, der Höhe- und Schlusspunkt Ihrer Residenz beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist jetzt das Zweite Klavierkonzert von Johannes Brahms. Er hat mal zu seiner Vertrauten Elisabeth von Herzogenberg gesagt: 'Erzählen will ich, dass ich ein ganz kleines Klavierkonzert geschrieben mit einem ganz einem kleinen zarten Scherzo.' Das Gegenteil ist ja eigentlich der Fall.

Rudolf Buchbinder: Es ist eines der größten Klavierkonzerte der gesamten Klavierliteratur und es gehört zu meinen Lieblingskonzerten, sowohl das Erste als auch das Zweite Klavierkonzert von Brahms.

BR-KLASSIK: Stimmen Sie zu, was Brahms da gesagt hat? Das ist wahrscheinlich eher ironisch gemeint.

2016 begeht der Pianist Rudolf Buchbinder (im Bild) seinen 70. Geburtstag, den mit den besten Klangkörpern der Welt rund um den Globus feiert. Da darf auch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks nicht fehlen. Dies ist einerseits Ausdruck der langjährigen, engen Verbundenheit zwischen Orchester und Künstler, andererseits aber auch Resultat der freundschaftlichen Verbindung zu Mariss Jansons. | Bildquelle: BR Bildquelle: BR Rudolf Buchbinder: Ja natürlich. Die Ironie ist die Würze des Lebens. Und viele Menschen verstehen Ironie nicht. Leider, leider. Darf man nicht verwechseln mit Sarkasmus, das ist böse. Aber Ironie ist ganz wichtig. Ich bin jetzt über 50 Jahre verheiratet - das geht nur mit Ironie. Wenn man sich gegenseiteig auf den Arm nehmen kann.

BR-KLASSIK: War Brahms ein ironischer Mensch?

Rudolf Buchbinder: Doch ja, ein sehr ironischer Mensch, sehr humorvoller, sehr sensibler Mensch. Das merkt man an seinen kleinen Werken. Nicht an den großen Werken. An den kleinen Balladen und Klavierstücken, die er ja alle in großer Liebe für Clara geschrieben hat.

BR-KLASSIK: Diese kleine zarte Scherzo ist gar nicht zart und auch nicht klein. Gehört es für Sie dazu?

Rudolf Buchbinder: Weder noch. Man könnte es kürzen und man sollte die schweren Stellen auslassen, das wäre das Allerbeste.

BR-KLASSIK: Jetzt spielten Sie zusammen mit einem ganz jungen israelischen Dirigenten Lahav Shani, der sein Debüt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in dieser Woche gibt. Sicher spannend. Salopp gesagt: Altmeister wie Sie trifft Jungspund. Wie geht das zusammen?

Rudolf Buchbinder: Wissen Sie, das schöne in unserem Beruf ist, das es keine Hierarchie gibt. Ein 20-jähriger Pianist, Dirigent, ist genauso Kollege oder Konkurrent wie ein 80-jähriger. Es gibt keine Generationsprobleme. Und man soll ja nicht sagen, man sei noch nicht reif mit 20. Es gibt Kollegen von mir, die waren mit 20 viel reifer wie mit 70. Man soll ja nicht diese Floskeln, diese Allgemeinplätze verwenden.

BR-KLASSIK: Mit Lahav Shani haben Sie ja schon einmal zusammengearbeitet.

Rudolf Buchbinder: Ja, in Israel hatten wir einige Konzerte mit dem Israel Philharmonic und er ist ein hervorragender Musiker, Dirigent und auch ein sehr guter Pianist.

Rudi, Du bist jetzt frei. Du musst die Sonaten noch einmal aufnehmen.
Joachim Kaiser zu Rudolf Buchbinder

BR-KLASSIK: Herr Buchbinder, Sie haben ja viel mit dem - ich sage jetzt einmal - Klavierpapst Joachim Kaiser zusammengearbeitet, der kürzlich gestorben ist. Was waren das für Projekte?

Rudolf Buchbinder: Wir machten sogar zweimal den Zyklus der 32 Klaviersonaten von Beethoven, auch beim Schleswig-Holstein-Musikfestival, kann ich mich erinnern. Auch da war die Ironie zum Beispiel ganz wichtig. Joachim Kaiser auf der Bühne sagte zum Publikum: 'Jetzt hören Sie Rudolf Buchbinder, der die Sonate jetzt genau so spielt, wie ich es nicht gesagt habe.'

BR-KLASSIK: Er war ja ein strenger Kritiker. Was haben Sie empfunden beim Tod von Jochim Kaiser?

Pianist Rudolf Buchbinder | Bildquelle:  © Marco Borggreve/PR Bildquelle: © Marco Borggreve/PR Rudolf Buchbinder: Wir waren sehr verbunden und er hat mir auch mit Ratschlägen immer wieder zur Seite gestanden. Und ihm habe ich zu verdanken, dass ich die Beethoven-Sonaten ein zweites Mal aufnahm. Nach 30 Jahren sagte er zu mir: 'Rudi, Du bist jetzt frei. Du musst die Sonaten noch einmal aufnehmen.' Weil bei der ersten Aufnahme war ich nicht frei, da ist man zu puritanisch, zu unflexibel und zu engmaschig, der Horizont ist ganz klein. Das war sehr wichtig, dass ich diese zweite Aufnahme gemacht habe. Und das habe ich Joachim Kaiser zu verdanken.

BR-KLASSIK: Sie haben ja als eine Art Wunderkind begonnen, jedenfalls sehr früh, jetzt sind Sie 70. Wie haben Sie es geschafft, angesichts der Flut von jungen Pianisten, sich so lange an der Spitze zu halten?

Rudolf Buchbinder: Ich sage immer, mein Glück war, dass ich nie eine Sensation war. Eine Sensation lässt sich nicht wiederholen. Bezüglich Karriere war Claudio Arrau immer mein Vorbild. Denn er hatte eine Karriere mit einem steten kleinen Crescendo. Und den Höhepunkt erlebte er am Ende seines Lebens. Und das ist auch mein Traum.

Die Fragen stellte Fridemann Leipold für BR-KLASSIK.
(Das Interview wurde für die bessere Lesbarkeit geringfügig an die Schriftsprache angepasst, Anm. der Red.).

Sendung: Konzertabend am 26. Mai 2017 um 20.03 Uhr.

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