Seit drei Jahren haben die Berliner Philharmoniker nicht mehr im Orchestergraben des größten deutschen Festspielhauses gesessen. Bei den Baden-Badener Osterfestspielen hat es überhaupt noch nie eine szenische Neuproduktion mit Kirill Petrenko gegeben. Am Samstag war es soweit: Für Tschaikowskys "Pique Dame" durfte Petrenko wieder als Operndirigent mit einem Regieteam zusammenarbeiten – in diesem Fall Moshe Leiser und Patrice Caurier. Doch konnte das hochkarätige Team die hohen Erwartungen erfüllen?
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Premierenkritik
"Pique Dame" bei den Osterfestspielen Baden-Baden
Liebe braucht Geld wie das Feuer die Luft. Der mittellose, spielsüchtige Hermann will wie besessen den sozialen Aufstieg erzwingen – und die für ihn bisher unerreichbare Lisa besitzen. Eine geheimnisvolle Gräfin verrät ihm drei angeblich stets siegreiche Karten. Doch alles geht schief: Die Gräfin stirbt, Lisa erkennt die Aussichtslosigkeit ihrer Zukunft mit Hermann, der sie wutentbrannt umbringt (jedenfalls in Baden-Baden). Am Ende begeht der Verzweifelte Selbstmord, weil er auf der vermeintlichen Millionärs-Allee unerwartet eine neue Niederlage einstecken muss. Da ist jemand zu Beginn auf Fake-News hereingefallen.
Die Überraschung: Das Regieteam Moshe Leiser und Patrice Caurier verorten die Figur der Lisa eigensinnig im Kurtisanenmilieu. Als wäre sie die Schwester von Verdis Violetta in "La Traviata". Das verträgt sich erstaunlich gut mit dem Gesangstext, denn Lisa ist für Hermann tatsächlich primär ein Objekt der Begierde, das er dem reichen Rivalen Jelezky vom erträumten Casino-Gewinn abkaufen will. Jelezkys berühmte Liebes-Arie wird in dieser Inszenierung als Fesselspiel gezeigt. So etwas schwebt offenbar auch Hermann vor, der darüber mehr und mehr den Verstand verliert. Passend dazu sind abblätternder Putz und schimmelnde Tapeten an schäbigen Zimmerwänden die optischen Vorboten des Verfalls: im zweistöckigen, mehrräumigen Bühnenbild von Christian Fenouillat.
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Der Armenier Arsen Soghomonyan, der in Baden-Baden den Hermann singt, steht für einen muskulös-athletischen Gesangsstil. Allein durch die dämonisch dunkle Grundfarbe dieses baritonalen Heldentenors offenbart sich die triebgesteuerte und selbstzerstörerische Aura eines Besessenen. Die Aura eines Antihelden, der von Obsessionen psychisch zerfressen wird. Trotz zurückhaltender Darstellung glaubt man Arsen Soghomonyan den Neurotiker am Abgrund des Wahnsinns. Zu monochrom gestaltet hingegen Elena Stikhina die liebend-leidende Lisa. Gerade wegen der Umdeutung der Figur durch das Regieduo bleibt die Sopranistin der Rolle einiges schuldig. Die ursprünglich angekündigte, aber bedauerlicherweise noch vor Probenbeginn ausgeschiedene Fachkollegin Asmik Grigorian hätte sicher ein exaltierteres Spiel und die nötigen existentiellen Stimm-Farben eingebracht.
Erwartungsgemäß geben die Berliner Philharmoniker der Musik die Noblesse, an der Kirill Petrenko schon auch liegt – Sentimentales soll ja nicht ruppig klingen. Wie früher, an unzähligen Abenden als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, fordert Petrenko für weite Strecken dieses Thrillers die angemessene Höchstspannung. Eine Präzision, die Musikerinnen und Musiker geschlossen auf der Stuhlkante sitzen lässt. Bei diversen Beifallsstürmen schien das Publikum am Premierenabend dieselbe Meinung äußern zu wollen wie Tschaikowskys passionierter Fürsprecher Kirill Petrenko: Ein solches Komponisten-Genie darf niemand mit fragwürdiger Argumentation von den Spielplänen verbannen.
Sendung: "Allegro" am 11. April 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Montag, 11.April, 08:24 Uhr
Fred Keller
KRITIK – "PIQUE DAME" MIT PETRENKO IN BADEN-BADEN
Wieder einmal viel Text und die wichtigen Rollen werden nicht genannt. Wer sang,gestaltete denn die alte Gräfin? Sie hat doch die Karten und obendrein eine schöne Gesangsszene.
Vielleicht bequemt sich der Schreiber zu einer Nennung.
Mit besten Grüßen.