Stierkampf, Feuerwerk, Akrobatik und jede Menge Wasser. Am Mittwoch feierte Bizets "Carmen" auf der Bregenzer Seebühne Premiere - vor spektakulärer Kulisse. Hinzu kam ein heftiges Gewitter, das die Bühne in eine glitschige Rutschpartie verwandelte.
Bildquelle: © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Von der Bregenzer Seebühne aus war es gut zu sehen, das hektisch blinkende Sturmwarnlicht. Wenn es 90 Mal pro Minute aufleuchtet, droht ein Unwetter über dem Bodensee. Und tatsächlich zog pünktlich zum Beginn der "Carmen" ein Gewitter auf: Blitze, Donner und Dauerregen. Doch die rund 7.000 Besucher zeigten sich zum Auftakt der Festspiele erstaunlich wetterhart. Nur wenige flüchteten, obwohl das Wasser tatsächlich immer nasser wirkte - auch auf der Bühne, wo die Sänger mit dem Mut der Verzweiflung über glitschige Flächen balancierten und das Ballett unverdrossen im Bodensee planschte.
Gespielt wird auf der Bregenzer Seebühne also offensichtlich bei jedem Wetter, denn wenn umgezogen wird ins Festspielhaus reichen die Sitzplätze dort nur für die Besitzer der sehr teuren Karten. Alle anderen müssen nach Hause gehen. So wurde diese "Carmen"-Premiere noch viel feuchter, als sie Regisseur Kasper Holten geplant hatte. Denn natürlich spielte der Bodensee, wie immer in Bregenz, die Hauptrolle. Boote dürfen in keiner Inszenierung fehlen, immer stürzt sich hier irgendwer ins Wasser, und diesmal waren es sogar Carmen und ihr eifersüchtiger Don José, die am Ende effektvoll von den Wellen überspült wurden.
Bildquelle: © Bregenzer Festspiele / Karl Forster Mit Oper hat das alles natürlich nichts zu tun - auch nicht mit Musiktheater, sondern mit Spektakel, mit Show und jeder Menge Action. Zwei Stunden zirkusartige Unterhaltung, einschließlich Feuerwerk, Fassadenkletterei, Stierkampf-Pantomime und raffinierter Projektionen. Das Hauptverdienst von Kaspar Holten war es, in all diesem Trubel die Aufmerksamkeit der Zuschauer behutsam auf die jeweils singenden Mitwirkenden zu lenken. Bei der Größe der Bregenzer Seebühne und dem Gewimmel an Statisten geht leicht der Überblick verloren. Und die zur Miete angebotenen Ferngläser sind keine echte Alternative.
Insofern war diese "Carmen" nicht nur unterhaltsam, sondern auch erfreulich übersichtlich: Eine feuerrot gekleidete Carmen, ein signalgelber Don José, da kommt keine Verwirrung auf. Das Bühnenbild ist in Bregenz ja allemal wichtiger als die Geschichte. Im besten Fall hat beides miteinander zu tun. Die Star-Designerin Es Devlin hat schon so angesagten Popstars wie Adele, Lady Gaga, Kanye West und den Petshop Boys zu eindrucksvollen Bühnen verholfen. Außerdem hat sie die Olympischen Spiele in London beschlossen und die in Rio eröffnet - also viel Erfahrung mit optischer Überwältigung.
In Bregenz ragen zwei riesige, nicht sehr gepflegte Frauenarme aus dem Bodensee: Die nachlässig lackierten Fingernägel sind abgestoßen, laienhafte Tattoos zieren die Unterarme. Offensichtlich gehören sie einer Frau, die viel mitgemacht hat. In der Höhe glimmt und qualmt eine Zigarette wie die Laterne der Freiheitsstatue - Carmen arbeitet ja in einer Tabakfabrik. Ihre Hände werfen 62 Spielkarten in die Luft - lauter Projektionsflächen, die auf Dauer so sehr dominieren, dass das Ganze bedrohlich nah am Freilichtkino ist. Faszinierend ist der technische Aufwand dennoch - und so professionell umgesetzt, wie es kaum sonst wo zu erleben sein dürfte.
Bildquelle: © Bregenzer Festspiele / Karl Forster Selbstredend ist die musikalische Seite in diesem Fall zweitrangig, zumal der Gewittersturm an den Nerven aller Beteiligten zerrte und Dirigent Paolo Carignani mitunter gehetzt wirkte. In Bregenz warten schließlich die Busse, Züge und Schiffe, um all die Besucher wieder abzutransportieren. Da ist jede Verzögerung gefährlich. Und es ging tatsächlich mit knapp zehn Minuten Verspätung los. Alle Hauptpartien sind zwei- bis dreifach besetzt. Es ist also Glückssache, welches Team der Besucher erlebt. In der Premiere waren Gaelle Arquez und Daniel Johansson als Carmen und Don José so tapfer wie kraftvoll: Sie spielten ihre Wasser- und Erotikschlacht groß, überdimensional, wie es hier einfach nötig ist. Das galt auch für Scott Hendricks als Torero Escamillo. Eine der drei Carmen dieser Saison ist übrigens Nichtschwimmerin und muss sich daher bei jedem Bühnentod im Bodensee sehr überwinden - am besten finden Sie selbst heraus, welche.
Inszenierung: Kasper Holten
Musikalische Leitung: Paolo Carignani | Jordan de Souza
Bühne: Es Devlin
Premiere: 19. Juli 2017
Besetzung und weitere Termine
Sendung: Allegro am 20. Juli 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK.