Als neuer Intendant des Nürnberger Staatstheaters will Jens-Daniel Herzog für Gesprächsstoff sorgen und hat eine zeitgenössische Oper über das Leben eines berühmten Busenwunders auf den Spielplan gesetzt: "Anna Nicole", komponiert von Mark-Anthony Turnage. Herzog, der in Nürnberg auch Regie führt, hat das Stück schon einmal inszeniert – 2013 als deutsche Erstaufführung an seiner vorigen Wirkungsstätte in Dortmund.
Bildquelle: Ludwig Olah
Sie ist unbestritten der Star des Abends: Großartig, wie die texanische Sopranistin Emily Newton die einstige Sexikone Anna Nicole Smith wieder zum Leben erweckt. Wie sie an deren kometenhaften Aufstieg erinnert, vom aufmüpfigen Landei zum international berühmten Busenwunder, und an den tiefen Fall, von der beneideten Milliardärswitwe zum aufgedunsenen Drogenjunkie. Wie sie mit ihrer klaren, schnörkellosen Stimme aus dem einst so peinlichen B-Promi eine Sympathieträgerin macht, eine lebenshungrige Frau auf der Suche nach Glück. Und wie sie dabei in zwei Stunden fast permanenter Bühnenpräsenz ebenso virtuos die Klamotten wechselt wie den Gesangsstil: mal Strapse, mal Versace-Kostüm, mal Musical-Song, mal Opernkoloratur.
Bildquelle: Ludwig Olah Eine Frau, die in Stripclubs ihren Körper entblößt und später in Talkshows ihre Seele, die einen greisen Ölmulti heiratet und sich dann im Rechtsstreit um sein Erbe verheddert, die der Silikon-Busen erst zum Ruhm führt und dann wegen der Schmerztabletten ins Grab. Diese Biographie hätte Stoff genug für eine Seifenoper geboten. Mark-Anthony Turnage und sein Librettist Richard Thomas haben eine richtige Oper daraus gemacht. Eine rasante Revue voller Sprachwitz und musikalischem Humor, stilistisch in der Nachfolge von Kurt Weill und Leonard Bernstein, aber gewürzt mit ein paar messerscharfen Dissonanzen.
Der Text, gespickt mit Vokabeln wie "pussy" und "shithole", wirkt trotzdem nicht vulgär, sondern brilliert mit Wortspielen und gereimten Pointen. Und die Partitur von Turnage kommentiert das Geschehen tempo- und abwechslungsreich, mit jazzigen Bläserriffs und rockigen Schlagzeugrhythmen. Wo sonst findet man eine augenzwinkernde Arie über die Regeln des Lapdance oder gar eine Hymne auf die Körbchengröße?
Allerdings: Wenn Dramaturg Georg Holzer das Stück von Turnage zur "besten zeitgenössischen Oper derzeit" deklariert, dann ist diese These mindestens so gewagt wie der Ausschnitt von Anna Nicoles Kleid. Keine Frage: Turnage kann knackig, krachend und krass, aber im zweiten Teil, wo die Geschichte ins Tragische kippt, bleibt seine Musik zu kühl, findet nicht den richtigen Ton, um emotional zu packen und plätschert vor sich hin. Mag "Anna Nicole" auch viel nackte Haut zeigen – wirklich unter die Haut geht die Oper dann doch nicht.
Bildquelle: Ludwig Olah Trotzdem: Unterhaltsam ist dieses Lust-Spiel allemal. Dank eines Solistenensembles, das den Spagat zwischen Musical und moderner Oper ziemlich bruchlos hinbekommt. Auch dank des Staatstheater-Chors, der neben der Hauptdarstellerin der heimliche Star der Produktion ist, mit Präsenz und Präzision punktet und die Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung von Lutz de Veer ein wenig ins Abseits drängt. Und schließlich dank der Regie von Jens-Daniel Herzog, der auf Zeigefinger und Mätzchen verzichtet und die Handlung in einem Einheitsraum diskret, aber gekonnt in Szene setzt. Ob "Anna Nicole" damit zum Kassenschlager wird? Zumindest könnte ein Ticket ein heißer Geschenktipp sein auch für den nicht-opernaffinen Busenfreund.
"Anna Nicole" am Staatstheater Nürnberg
Komposition: Mark-Anthony Turnage
Libretto: Richard Thomas
Musikalische Leitung: Lutz de Veer
Regie: Jens-Daniel Herzog
Bühne: Frank Hänig, Norman Heinrich
Kostüme: Sibylle Gädeke
u.a. mit Emily Newton (Anna Nicole), Richard Morrison (Howard Stern) und Jeff Martin (Marshall)
Staatsphilharmonie Nürnberg
Chor des Staatstheaters Nürnberg
Sendung: "Allegro" am 5. November 2018 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Am Dienstag, 13. November 2018, sendet BR-KLASSIK den Mitschnitt der Premiere von 20:05 bis 23:00 Uhr.
Kommentare (0)