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Kritik - "I puritani" in Stuttgart Zartbitteres Bürgerkriegsdrama

An der Stuttgarter Staatsoper hat Intendant Jossi Wieler gemeinsam mit Chefdramaturg Sergio Morabito zum dritten Mal ein Bühnenwerk des Belcanto-Komponisten Vincenzo Bellini in Szene gesetzt: nach den erfolgreichen Produktionen "Norma" und "La Sonnambula" jetzt "I Puritani". Die Erwartungen bei Publikum und Kritik waren dementsprechend hoch.

Bildquelle: © A.T. Schaefer

Premierenkritik

"I puritani" in Stuttgart

Verliebte aus verfeindeten Lagern - das sind Elvira und Arturo, mitten im englischen Bürgerkrieg zwischen protestantischen Puritanern und königstreuen Katholiken um 1650. Wie gut, dass für die Ausstattung der Stuttgarter Neuproduktion von Bellinis letzter Oper wieder einmal Anna Viebrock an den Start ging, eine bewunderungswürdige Spezialistin für Bühnenbilder, die Realitäten andeuten und doch verschieben.

Feuchte Wände, rostige Brücke

Der Einheitsraum mit feuchten Wänden, alten Gemälden, hölzerner Empore und rostiger Festungsbrücke verrätselt den Schauplatz. Bei allem Wirklichkeitsbezug der Bildideen - der stets artifiziell daherkommende Belcanto wird hier optisch in seiner Künstlichkeit gespiegelt. Durch das Regieteam Jossi Wieler und Sergio Morabito scheinen Verstrickungen des Geschehens ernst genommen, aber zartbitter ironisiert.

Puppenstube als Zufluchtsort

Was man sofort sieht: Elvira ist ein fragiles Geschöpf. Sie braucht imaginäre Krücken, um auf Distanz zu halten, was ihr zugemutet wird: Ist der Geliebte doch tatsächlich nicht wie vereinbart mit ihr, sondern mit einer anderen geflohen! Bis Arturo das Missverständnis aufklärt, zieht sich Elvira in ihr Schneckenhaus zurück: ein Puppenhaus in diesem Fall, denn das Mädchen spielt noch mit Puppen. Wenn Selbstschutzmechanismen das arme Kind in den Wahnsinn treiben, hat das in Stuttgart etwas bewegend Infantiles.

Die mazedonische Sopranistin Ana Durlovski agiert bezwingend wie eh und je, singt fast genauso betörend wie vor vier Jahren als Amina bzw. Sonnambula. Da müssen sich die Männer zur Decke strecken, um Paroli zu bieten: der albanische Bariton Gezim Myshketa als Riccardo, der polnische Bassist Adam Palka als Giorgio. Einziger Gast inmitten des Stuttgarter Ensembles ist der uruguayische Tenor Edgardo Rocha, der als Arturo sein umjubeltes Rollendebüt gibt, unerschrocken gegenüber fontänenartigen Extremtönen.

Entschleunigter Schwanengesang

Maestro Giuliano Carella weiß, wodurch sich Bellinis Schwanengesang auszeichnet: Harmonik und Instrumentation wirken in den "Puritanern" wie eine raffinierte Hintergrundbeleuchtung für das entschleunigte, oft schwebend sich verströmende Melos. Niemand im Publikum zweifelt: Das Melodische ist und bleibt die erhabene Essenz, der beredte Nerv dieses Belcanto sizilianischer Provenienz. Den musizierenden Kollektiven aus Chor und Orchester geht es während der Stuttgarter Premiere, einer mutmaßlichen Erstaufführung der Oper vor Ort, um eine bohrende Intensität des Gefühls, ungeniertes Schwelgen, Klangentfaltung und -steigerung bis hinein in ekstatische Regionen.

Zum Saisonende zu Recht tosender Jubel für alle Beteiligten, auch Jossi Wieler, der 2016/17 zum Glück wieder zwei Opern selbst inszenieren wird: Händels "Ariodante" und Tschaikowskys "Pique Dame".

"I puritani" in Stuttgart

Oper von Vincenzo Bellini
Premiere: 8. Juli 2016, 19 Uhr
Staatsoper Stuttgart

Regie und Dramaturgie: Jossi Wieler, Sergio Morabito
Musikalische Leitung: Giuliano Carella, Manlio Benzi,
Bühnenbild und Kostüme: Anna Viebrock

Besetzung und Vorstellungstermine

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