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Kritik - "Orpheus in der Unterwelt" an der Oper Stuttgart Harmloser Operettenabend ohne Schwung und Witz

Ihre Liebe ist gescheitert. Orpheus und Eurydike betrügen sich gegenseitig. Lüge, Schein und Doppelmoral - Jacques Offenbach hielt mit seiner Operette über die griechische Sage der Gesellschaft seiner Zeit den Spiegel vor. Nun inszenierte Armin Petras das Werk in Stuttgart. Das Ergebnis: ein langweiliger Operettenabend.

Bildquelle: © Martin Sigmund

Stuttgart ist ja nicht gerade eine Bastion des Frohsinns, und die dortige Oper ist auch nicht für ausgelassene Heiterkeit bekannt, sondern allenfalls für feine Ironie. Über Jahre hinweg wurden die Zuschauer hier sehr erfolgreich zum Mitdenken und Mitdiskutieren erzogen, weniger zum Mitschunkeln, Mitsummen und Mitklatschen. Es war also von vorneherein klar, dass in Stuttgart beim berühmten Cancan in Jacques Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" garantiert nicht die Röcke fliegen würden. Und wie zu erwarten, wurde auch sehr wenig gelacht.

Keine karnevalstaugliche Operetten-Sause

Orpheus in der Unterwelt | Bildquelle: © Martin Sigmund André Jung als "Styx" | Bildquelle: © Martin Sigmund Regisseur Armin Petras zeigte einen düsteren Totentanz, so morbide und pessimistisch, dass ihn einige Zuschauer am Ende ausbuhten. Nun hat es Petras beim Stuttgarter Publikum ohnehin nicht leicht. Als Schauspielchef wurde er für seine Inszenierungen und für seine angeblich mangelnde Anwesenheit so heftig kritisiert, dass er frustriert das Handtuch warf und 2018 vorzeitig gehen will, statt - wie ursprünglich geplant - drei Jahre länger zu bleiben. Die Auslastung war im Sprechtheater zwischenzeitlich auf bescheidene 74 Prozent gesunken, soll allerdings momentan wieder steigen. Wie auch immer: Nach eigener Aussage geht Petras aus "familiären und persönlichen Gründen", tatsächlich ist er mit der Stadt wohl nicht recht "warm geworden". Insofern war es wenig verwunderlich, dass er an der Oper keine lustige, karnevalstaugliche Operetten-Sause inszenierte.

Wenig einfallsreiche Gesellschaftskritik

Armin Petras' Eurydike ist zunächst geschundene Fabrikarbeiterin im Paris um 1870, heiratet dann den eitlen Künstler Orpheus, brennt schließlich mit dem sadomasochistischen Unterweltgott Pluto durch, hängt sich kurz darauf an Zeus persönlich und endet als Gefährtin in den Armen von Bacchus, einem Klebstoff schnüffelnden Junkie. Hier wird also Aufstieg und Fall der Bourgeoisie beschrieben: Eine Frau will nach oben, will die Verhältnisse auf den Kopf stellen, aber die sind stärker als sie - und deutlich fader. Es stimmt ja: Offenbach hielt der neureichen Schickeria seiner Zeit den Spiegel vor, und sicherlich lag damals schon der Arbeiter-Aufstand der Pariser Commune in der Luft. Aber das hätten Petras und seine Ausstatterinnen Susanne Schuboth und Dinah Ehm sehr viel schärfer, direkter und einfallsreicher bebildern müssen. Den Cancan von vier Tänzern als "Dämonen" im Skelett-Trikot vorturnen zu lassen, reicht nicht, um die Abgründigkeit der Operette auszuleuchten. Die Götter im Himmel sind nicht etwa böse Kapitalisten oder schläfrige Großbürger, sondern Langweiler in Pastellfarben. Die eigentlich herrlich satirischen Ensemble-Szenen plätschern fast griesgrämig vorbei.

Bilder von der Inszenierung finden Sie hier.

Harmlos, matt, witzlos

Orpheus in der Unterwelt | Bildquelle: © Martin Sigmund André Jung (Styx), Michael Ebbecke (Jupiter) und Mitglieder des Staatsopernchores | Bildquelle: © Martin Sigmund Es fehlt eindeutig Tempo, auch bei Dirigent Sylvain Cambreling, und somit die wichtigste Zutat für eine gelungene Operette. Josefin Feiler war als aufstiegsorientierte und genusssüchtige Eurydike leider viel  zu harmlos, was ihren Orpheus, gespielt von Daniel Kluge, als Künstler antrieb, blieb völlig schleierhaft. Dagegen lieferte Max Simonischek eine sehr unterhaltsame Charakterstudie von Mars und Bacchus ab: Der Kriegsgott lässig in Adiletten, der Herrscher über den Rausch total kaputt als Dauerqualmer, Dauerkiffer und Dauerschnüffler. André Morsch fehlte es als Pluto an höllischer Entschlossenheit, Michael Ebbecke war als Zeus zu wenig abgebrüht und schmierig in seinen Bedürfnissen.

Insgesamt also eine zu matte und vor allem witzlose Gesellschaftskritik, zumal Filmeinspielungen einmal mehr den Ersten Weltkrieg herbeizitierten, im Zusammenhang mit der Operette ein inzwischen abgenutzter Effekt. Im Programmheft bedauerte Karl Kraus übrigens, dass immer mehr Menschen nicht mehr in der Lage sind, im Theater den Verstand auszuschalten, wo die Operette doch vom Unsinn lebe. Wirklich tragisch!

"Orpheus in der Unterwelt" an der Oper Stuttgart

Premiere war am 4. Dezember, weitere Termine und Informationen unter oper-stuttgart.de
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