Die erste Begegnung mit Simon Rattle ist gut zehn Jahre her. Schon damals war für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf Anhieb klar: das passt! Jetzt wird Simon Rattle neuer Chefdirigent und tritt damit die Nachfolge von Mariss Jansons an. BR-KLASSIK hat mit dem Orchestervorstand Norbert Dausacker gesprochen - und der findet Rattles Dirigat geradezu magisch.
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BR-KLASSIK: Herr Dausacker, Simon Rattle wird neuer Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Wir haben die Musiker reagiert?
Norbert Dausacker: Wir sind natürlich überglücklich, dass wir Sir Simon für unser Orchester als nächsten Chefdirigenten gewinnen konnten. Ich glaube, es ist schon zehn Jahre her, dass er das erste Mal bei uns dirigiert hat. Schon damals war von den ersten Tönen an klar, dass wir eine gemeinsame musikalische Sprache sprechen. Entsprechend begeistert sind die Kolleginnen und Kollegen jetzt. Es kommt ja nur ein paar Mal im Leben vor – in ganz normalen menschlichen Beziehungen, und offenbar auch zwischen Dirigent und Orchester – dass man glaubt, man kennt sich schon ewig. Dabei hat man sich gerade erst kennengelernt, aber es funkt einfach auf einer Wellenlänge. Und den Eindruck hatten wir damals bei Simon Rattle. Wir glauben, dass das eine ganz, ganz glückliche Fügung ist, dass wir ihn gewinnen konnten.
Am liebsten würden wir gleich morgen mit ihm loslegen.
BR-KLASSIK: Hat Mariss Jansons eigentlich jemals über einen möglichen Nachfolger oder eine Nachfolgerin gesprochen?
Norbert Dausacker: Selbstverständlich haben wir in den letzten Jahren mit ihm sehr viel darüber gesprochen. Denn auch er hat gemerkt, dass seine Kräfte schwinden. Und er nicht wusste, wie lange er das noch durchhalten wird. Wir haben offen über eine mögliche Nachfolge gesprochen. Aber es war seine oberste Prämisse, sich aus dieser Frage komplett rauszuhalten. Nur kannten wir selbstverständlich seine Vorlieben für den einen oder anderen Dirigenten. Und deswegen wussten wir auch um die Nähe zu Sir Simon Rattle. Das hatte aber nichts mit unserer Entscheidungen zu tun. Das war eine ganz basisdemokratische Orchesterentscheidung.
BR-KLASSIK: Simon Rattle kommt erst 2023 nach München. Bis dahin sind es noch ungefähr zwei Jahre, bis es dann wirklich losgeht. Wie überbrückt man diese Zeit?
Simon Rattle bei einer Probe mit dem Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks im Juli 2020 | Bildquelle: BR/Astrid Ackermann Norbert Dausacker: Unser Management arbeitet gerade natürlich ganz intensiv daran, ihn so oft wie möglich schon vorher nach München zu bekommen, damit wir einige Projekte mit ihm machen können. Im März beispielsweise kommt er mit einem anspruchsvollen Programm. Wir versuchen, ihn öfter hierher zu bekommen, als es in den letzten Jahren der Fall war.
BR-KLASSIK: Simon Rattle kommt mit einer ganz anderen Basis zu Ihnen: Schlagzeug. Das bedeutet Puls, Rhythmus, Streben - aber in einem gewissen Sinne auch Strenge, oder?
Nobert Dausacker: Ja. Man merkt sofort, wo die jeweiligen Dirigenten herkommen, ob sie Streicher waren und beispielsweise mehr Wert auf den Streicherklang legen als auf das Zusammenspiel. Jemand, der aus dem Schlagzeugfach kommt, also vom Rhythmus her, legt natürlich größten Wert auf das Zusammenspiel. Das ist überhaupt keine Frage. Aber es zeichnet Sir Simon aus, dass er auch größten Wert auf die Klangqualität der Streicher legt und den des ganzen Orchesters.
Sir Simon vereint wirklich beides: die Perfektion des Rhythmus und den Klang.
BR-KLASSIK: Sie sagen, man spricht eine gemeinsame musikalische Sprache, für die man keine Worte braucht. Wie fühlt man das?
Orchestervorstand Norbert Dausacker bei der Arbeit als Hornist | Bildquelle: Astrid Ackermann Nobert Dausacker: Ich versuche diese Frage jede Woche für mich zu beantworten, wenn wir Gastdirigenten haben, die vielleicht zum ersten Mal bei uns dirigieren. Es ist tatsächlich so: Wenn jemand zur Tür hereinkommt, sich ans Dirigentenpult setzt und seinen Taktstock hebt, dann ist eigentlich nach wenigen Takten klar, ob es harmoniert oder nicht. Es ist dieses gemeinsame Atmen, dieses Mitnehmen der Instrumentalisten, dieses Begleiten ihrer Soli – und dann alles zu einem Ganzen zusammenzufügen. Das ist ja manchmal fast magisch, wie es Dirigenten wie Sir Simon oder Mariss Jansons schaffen und geschafft haben, jedem Instrumentalisten die maximale Freiheit zu geben und trotzdem das große Ganze in einem perfekten Zusammenspiel zu vereinen. Das ist es, was die ganz, ganz großen Dirigenten auszeichnet.
Es ist dieses gemeinsame Atmen.
BR-KLASSIK: Das klingt fast schon politisch. Denn das würde man sich ja auch für unser Land wünschen. Eigentlich wäre so ein Chefdirigent ein hervorragender Bundeskanzler, oder?
Nobert Dausacker: (lacht) Da sind sicherlich noch ganz andere Qualitäten gefragt. Aber es ist überhaupt keine Frage: Wir sehnen das Ende dieses Kultur-Lockdowns herbei.
Sendung: "Leporello" am 11. Januar 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK