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Kritik - Berliner Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen Klangfarbenzauber mit Kirill Petrenko

Am Wochenende sind die 100. Salzburger Festspiele mit dem traditionellen Gastspiel der Berliner Philharmoniker zu Ende gegangen. Damit ist ein weltweit beachtetes Experiment gelungen, das mit Mut, Umsicht und Disziplin der Krise getrotzt hat. Als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker hat Kirill Petrenko bei den beiden Konzerten im Großen Festspielhaus gezeigt, zu welchen Höhenflügen Musikerinnen und Musiker in der Lage sind, wenn die Chemie stimmt. Eine musikalische Enttäuschung gab es allerdings auch.

Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen 2020. | Bildquelle: SF / Marco Borrelli

Bildquelle: SF / Marco Borrelli

Wie beglückend, Kirill Petrenko endlich wieder live zu erleben! Sein bescheidenes Auftreten, sein in sich gekehrtes Lächeln, sein ganz in der Musik aufgehendes Wesen. Mit weich fließenden Bewegungen formt Petrenko den Klang, sorgt für einen organischen Fluss der Musik, setzt kraftvolle Akzente. Weniger allerdings bei Beethovens drittem Klavierkonzert, was aber eindeutig an Daniil Trifonovs romantisierender Interpretation liegt. Der 29-jährige Starpianist hat bislang vor allem mit Chopin oder Rachmaninow Furore gemacht. Und jetzt Beethoven?

Beethoven mit Weichspüler

Weniger heroisch als vielmehr empfindsam gestaltet Trifonov den Solopart im c-Moll-Konzert. Technisch makellos und manuell brillant nimmt sich Trifonov als rhapsodischer Beethoven-Erzähler viel Zeit – und viel Freiheit bei der Tempowahl. Das zentrale Largo tritt auf der Stelle, zerfällt fast, und das Rondo schnurrt ab wie eine gut geölte Maschine. Eine enttäuschend spannungslose Beethoven-Interpretation. Oder um Winckelmanns Klassik-Ideal zu zitieren: edle Einfalt und stille Größe – zu schön, um wahr zu sein.

Jugendfrischer Mendelssohn

Nach dem Beethoven-Weichspülgang dann der totale Kontrast mit der ersten "richtigen" Symphonie Mendelssohns, die gleichfalls in c-Moll steht. Wie ein Wirbelwind fegt Petrenko durch die selten gespielte Partitur, vibriert vor Energie, sorgt für scharfkantige Artikulation und gesangliches Melos. Und die Berliner Holzbläser steuern berückend schöne Soli bei. So feurig und jugendfrisch hingepfeffert, macht dieser frühe Mendelssohn einfach Spaß.

Überzeugende Kombination: Schönberg und Brahms

Porträt des Dirigenten Kirill Petrenko. | Bildquelle: Kai Bienert Früher Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper, jetzt Chefdirigent der Berliner Philharmoniker: Kirill Petrenko. | Bildquelle: Kai Bienert Am Abend zuvor setzt Petrenko auf die spannende Kombination Schönberg-Brahms – und gewinnt. Für die Zweite Wiener Schule um Schönberg, Berg und Webern hat Petrenko eine Vorliebe, wie etwa seine Münchner "Lulu" grandios gezeigt hat. In Schönbergs spätromantischer Tondichtung "Verklärte Nacht" lässt Petrenko den Streicherklang kammermusikalisch suggestiv leuchten und dann wieder obsessiv anschwellen. Das wagnernahe Pathos Schönbergs liegt ihm besonders, in sentimentales Schmachten driftet Petrenkos Interpretation sowieso nie ab. Der dunkel glühende Klang der Berliner Philharmoniker kommt ihm dabei zugute. Dynamisch dehnt und staucht er das Tempo – und erzeugt damit ein Höchstmaß an Spannung in dieser dramatischen Beziehungsgeschichte, die Schönbergs Nachtstück zugrunde liegt. Am Ende erliegt das Publikum dem Klangfarben-Zauber dieser Musik – und verhält sich so mucksmäuschenstill wie nie zuvor. Konzert-Husten verbietet sich in Corona-Zeiten ja auch. Endlich.

Ein Musiker pro Pult

Schönberg hat Brahms bekanntlich sehr geschätzt und ihn wegen seiner hochentwickelten Variationstechnik einen "Fortschrittlichen" genannt. Das gilt besonders für die Vierte Symphonie von Brahms, die Petrenko mit den Berlinern exemplarisch auslotet. Die Besetzung ist jetzt relativ groß, aber die deutsche Corona-Politik duldet – anders als bei den Wiener Philharmonikern in Salzburg – eben nur einen Mann, eine Frau pro Pult. Deshalb sitzen die Musikerinnen und Musiker weit auseinander. Dem Gesamtklang schadet das dank Petrenkos Einsatz erstaunlich wenig. Unerbittlich legt er die Architektur der Vierten frei, arbeitet Details und gegenläufige Rhythmen plastisch heraus.

Berliner Philharmoniker in Bestform

Im Atem der Musik folgt Petrenko den weiträumigen Verästelungen dieser Meisterpartitur. Elegisch pendelnd geht er den Kopfsatz an, lässt aber auch die Muskeln spielen. Im langsamen Satz gelingen ihm und den zärtlichen Streichern magische Momente tiefempfundener Trauer. Bevor dann das trotzige Scherzo mit einem irrwitzigen Drive, dabei aber federnd und leicht, dreinfährt, dass einem Hören und Sehen vergeht.

In der finalen Passacaglia können die fantastischen Solisten der Berliner Philharmoniker noch einmal ihre Qualitäten voll ausspielen. Lakonisch, fast gewalttätig wuchtet Petrenko die Schlussakkorde in den Saal. Da gibt es dann kein Halten mehr, Standing Ovations und lautstarker Jubel folgen – für eine Leistungsschau, die wieder einmal eindrucksvoll bewiesen hat, dass die Berliner Philharmoniker in einer eigenen Liga spielen.

Sendung: "Allegro" am 31. August 2020 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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