Ein großes Signal: Die Salzburger Festspiele 2020 finden in ihrem Jubiläumsjahr statt. Reduziert, mit weniger Spieltagen, Aufführungen und Zuschauern. Aber mit Oper! Auf der Bühne, ohne Sicherheitsabstand und mit einem Orchester im Graben.
Bildquelle: imago/imagebroker
Auch wenn es den Entscheidungsträgern bei der Pressekonferenz im Seitenfoyer des Großen Festspielhauses nicht groß anzumerken ist: Das Risiko, das mit der Realisierung der diesjährige Festspiele an der Salzach einhergeht, ist dem Direktorium nur allzu bewusst. Präsidentin Helga Rabl-Stadler stellt klar: Das Gelingen hänge nicht wie sonst in erster Linie von den künstlerischen Ergebnissen ab, sondern von der Gewährleistung der Sicherheit aller Beteiligten: "Sicherheit ist die Nummer 1." Seit Monaten wälzte die Festspielleitung mit der Politik Pläne, unter welchen Umständen Vorstellungen realisierbar wären.
Sicherheit ist die Nummer 1.
Seit 25. Mai ist klar: Es darf gespielt werden! Maximal 1.000 Personen sind in geschlossenen Räumen erlaubt, "open air" sind es 1.250. Die Erarbeitung des Hygienekonzepts liegt in den Händen des kaufmännischen Direktors Lukas Crepaz, der Behörden und eines "Expertenrats", der sich aus medizinischen Kapazitäten quer durch die Fachrichtungen zusammensetzt.
Das Fazit: Maskenpflicht für das Publikum bis zur Einnahme der Plätze, zusätzliches Personal koordiniert den Einlass zu den Spielorten in Gruppen. Karten werden personalisiert, damit die Daten im Infektionsfall an die Behörden weitergeleitet werden können, um Infektionsketten nachvollziehbar zu machen.
Alle Veranstaltungen finden ohne Pause statt. Und außerdem wird – obwohl es sogar rechtlich erlaubt wäre – auf Gastronomie verzichtet, um nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Zuschauerräume Menschenansammlungen zu vermeiden.
Dafür werden Aufführungen aus jedem gewohnten Genre gezeigt: Solistenkonzerte, Kammermusik, Orchesterkonzerte. Aber auch Schauspiel und sogar Oper! Dieser Punkt ist für deutsche Klassikfreunde in diesen Tagen nahezu unvorstellbar: eine szenische Produktion auf der Bühne, mit Sängern und Sängerinnen, die miteinander agieren, sich ansingen, sich berühren und einem Orchester, das im Graben sitzt. Die großen vorgesehenen Brocken mit riesigen Chören und Ensembles, wie "Die Zauberflöte" oder "Boris Godunow", werden auf nächstes Jahr verschoben. Wie übrigens alle Termine, die heuer nicht stattfinden können. "Die Jubiläumsfestspiele dauern von 25. Juli 2020 bis 31. August 2021", stellt Helga Rabl-Stadler klar.
Intendant Markus Hinterhäuser musste also auch hier reduzieren. Die Wahl fiel auf "Elektra" von Richard Strauss, da die Anzahl des künstlerischen Personals überschaubar ist und das Werk keine Pause hat. Außerdem wird Mozarts "Così fan tutte" in der Regie von Christof Loy gezeigt. Die war ursprünglich gar nicht vorgesehen. Hinterhäuser schickt schmunzelnd voraus, dass manche sich vielleicht fragen, ob die Verantwortlichen zu viel Zeit haben, wenn sie in wenigen Wochen eine komplett neue Produktion aus dem Boden stampfen. Aber es ist eine kreative Lösung. Denn Loy wird eine etwas andere Version der "Così" zeigen: eine, die die aktuellen Ereignisse aufgreift und künstlerisch behandelt. "Aber Mozarts Werk wird klar erkennbar bleiben", beschwichtigt Hinterhäuser, "es wird nicht 'Covid fan tutte'."
Um auch die Gesundheit der in den Opern beschäftigten Sängern, darunter Stars wie Marianne Crebassa, Asmik Griogorian oder Andre Schuen, und der Wiener Philharmoniker im Graben möglichst zu gewährleisten, wurden alle Beteiligten in Gruppen eingeteilt. Es gibt eine gelbe, eine orange und eine rote. Zur Letzteren gehören all jene, von denen der in Österreich vorgeschrieben Sicherheitsabstand von einem Meter nicht eingehalten werden kann. Diese werden schon im Vorfeld der Festspiele mittels Rachenabstrich auf Covid-19 getestet. Auch während der Proben und Vorstellungen werden die Tests regelmäßig durchgeführt, jede Person muss ein Gesundheitstagebuch führen.
Es passiert nichts, was nicht erlaubt ist.
Reichlich riskant also. Dennoch hat niemand seine Mitwirkung verweigert. Im Gegenteil: "Die Freude bei allen Beteiligten, dass endlich wieder etwas stattfinden kann, ist übergroß", berichtet Markus Hinterhäuser. Um nochmals zu bekräftigen: "Es passiert nichts, was nicht erlaubt ist". Ein Gesetz sei nicht dazu da, es bis zur Unkenntlichkeit auszureizen. An alle strikten Regeln und Verordnungen werde sich gehalten. Auch sieht er keine "Extrawurst", die für die Festspiele gebraten wird. Von Anfang an seien sie in die politischen Gespräche mit der Devise gegangen: entweder alle oder keiner.
Das Konzept werde laufend an aktuelle Entwicklungen angepasst, betont Rabl-Stadler. Wenn sich die Dinge zum schlechteren wenden sollten, aber auch – so viel Optimismus hat sie – wenn weitere Lockerungen erlassen werden sollten. Chancen auf Karten gibt es für frisch Interessierte übrigens erstmal nicht. Statt der ursprünglich geplanten 230.000 können nur 80.000 Tickets aufgelegt werden. Und hier kommen zuerst diejenigen an die Reihe, die für die Festspiele schon Karten hatten.
Es ist "dünnes Eis", auf das man sich begibt, sagt Markus Hinterhäuser. Und er weiß um die Gefahr, einzubrechen. Aber die Salzburger Festspiele ducken sich nicht weg. Sie wagen es. Man will sich nicht vorstellen, was passiert, wenn sich zum Beispiel ein Orchestermusiker mitten im Betrieb mit dem Corona-Virus infiziert. Die Verantwortung der Festspiele ist gewaltig. Aber sie nehmen sie an. Nicht tollkühn, aber mutig. Und mit kreativen Wegen im Programm.
Ein wichtiges Signal für die Kulturinstitutionen, gerade in Deutschland, wo Lockerungen im Kulturbereich nur äußerst behutsam umgesetzt werden und das Gefühl bleibt, es fehlen an der Kultur ernsthaft interessierte und überzeugte Streiter in der Politik. Hinterhäuser drückt das fast poetisch aus: "In Österreich gibt es mehr Elastizität in der Lesart dessen, was möglich ist." Andere europäische Sommerfestivals, wie das in Grafenegg, die Bregenzer Festspiele, das Lucerne Festival und selbst das Rossini Opera Festival Pesaro, im von der Corona-Pandemie so schrecklichen gebeutelten Italien, ziehen mit und bieten reduzierte Programme an.
In Österreich gibt es mehr Elastizität in der Lesart dessen, was möglich ist.
"Wo der Wille nur erwacht, da ist schon fast etwas erreicht", zitiert Helga Rabl-Stadler Hugo von Hofmannsthal, um den langen Weg des Ringens um die Jubiläumssaison zusammenfassend zu umschreiben. Die Salzburger Festspiele senden mit ihrem diesjährigen Programm ein großes Signal, auch des Willens, das den Druck auf die deutsche Kulturpolitik nicht gerade mindert.
Mehr Informationen zum Programm auf der Website der Salzburger Festspiele.
Sendung: "Leporello" am 09. Juni 2020 ab 16.05 Uhr in BR-KLASSIK
Kommentare (5)
Donnerstag, 11.Juni, 17:38 Uhr
paul-ludwig voelzing
hinterhäuser
woanders nennt man diese "elastizität" leichtsinn oder sogar fahrlässigkeit.
Donnerstag, 11.Juni, 17:29 Uhr
paul-ludwig voelzing
salzburger festspiele
ja, in österreich gibt es mehr elastizität im umgang mit fakten! wir haben das ja gerade in ischgl gesehen!
Donnerstag, 11.Juni, 14:34 Uhr
Herold
Elastizität
Die Elastizität Österreichs ist entgegen Herrn Hinterhäusers Poesie doch etwas eingeschränkt:St. Margarethen und Mörbisch abgesagt, Bregenz und Grafenegg stark eingeschränkt. Beim Hinweis auf Italien vermisst man Verona, das sich im Spätsommer mit einer abgespeckten Fassung versucht.Letztendlich scheint sich in Salzburg die Wirtschaft durchgesetzt zu haben, auch wenn man den Mut der Festspielverantwortlichen anerkennen und ihnen viel Glück wünschen muß.
Mittwoch, 10.Juni, 17:37 Uhr
S. Deiries
Wunderbar!
Ich bin begeistert davon, dass jetzt die Salzburger Festspiele doch stattfinden!
Mittwoch, 10.Juni, 13:16 Uhr
Prof. Mag. Herbert Michael Burggasser
DOCH NOCH SALZBURGER FESTSPIELE 2020! BRAVO!
Ganz großes Lob für die Präsidentin Helga Rabl-Stadler! Sie hat durch Hartnäckigkeit, Kampfgeist und Optimismus schier Unmögliches zu Wege gebracht! Es wird auch im Corona-Jahr Salzburger Festspiele geben! Sehr schön auch, dass sie im Hinblick auf das im Jahr 2021 nachgeholte Festspieljubiläum noch um ein Jahr verlängert hat! Herrn Haslauer braucht und will wirklich niemand! Er hat schon zu Ostern einen der ganz Großen vertrieben!