Am 15. August 2021 also wird es passieren. Bei den Salzburger Festspielen. Wir alle werden angeklagt: lautstark, brutal, gnadenlos. Es gibt Luigi Nonos vor gut 60 Jahren in Venedig uraufgeführte azione teatrale "Intolleranza 1960". Hintergrund damals war der Algerienkrieg, im Zentrum steht das Schicksal eines Emigranten, der durch eine zerstörte Welt irrt. Er erlebt Inhaftierung, Folter, begegnet aber auch einer Frau, die ihm zur Seite steht, wenngleich auch nicht ganz konfliktfrei.
Bildquelle: SF / Maarten Vanden Abeele
Nono schrieb selbst das Libretto, er verwendete Texte unter anderem von Sartre, Brecht oder Wladimir Majakowski. Die musikalische Textur ist überaus reichhaltig, filigrane Chöre stehen etwa neben irrsinnig grellen, harten Schlagwerktutti.
Szene aus "Intolleranza 1960" bei den Salzburger Festspielen 2021 in der Inszenierung von Jan Lauwers | Bildquelle: SF / Maarten Vanden Abeele Inszeniert wird "Intolleranza" von Jan Lauwers, der vom Schauspiel kommt und mit seiner Truppe Needcompany gerne drastisch, direkt und oft auch ziemlich plakativ arbeitet. Lauwers suchte und fand hier nun einen anderen Zugang. Das Licht spielt eine große Rolle, manches findet im Halbdunklen statt, oft schälen sich die Figuren aus einer großen Menschenmenge heraus. Diese Masse besteht aus einem multikulturell besetzten Sängerensemble sowie einer riesigen Anzahl an Tänzerinnen und Tänzern. Insgesamt sind rund 200 Mitwirkende auf der Bühne, die meisten bleiben die meiste Zeit anwesend und kommentieren tänzerisch das Geschehen oder sind einfach nur präsent. Jan Lauwers Sohn Victor spielt auch mit, als blinder Poet, erst als zitterndes Wesen im hellen Anzug, später als Folteropfer.
Nonos Musik wird von den Wiener Philharmonikern und der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor realisiert, Dirigent Ingo Metzmacher charakterisiert Nonos spezifische Klangsprache:"Ich glaube, was bei Nonos Musik immer eine große Rolle spielt, sie hat etwas Archaisches. Sie geht in der Musikgeschichte weit weit zurück. Vielleicht zurück bis zu Monteverdi und Josquin Desprez. Sie basiert auf einer sehr strengen Behandlung des Materials. Die Musik ist sehr organisiert, sehr genau nach einem Plan geschrieben. Aber sie ist auch mit unglaublichem Herzblut geschrieben, dem man sich kaum entziehen kann." Gespielt wird "Intolleranza" in der Felsenreitschule, die berühmten Arkaden sind größtenteils zugemauert, darauf projiziert werden manchmal großformatige Live-Videos.
Nonos Musik ist mit unglaublichem Herzblut geschrieben, dem kann man sich kaum entziehen.
Bei der Uraufführung in Venedig gab es einen veritablen Skandal, vor allem rechte Gruppen unternahmen Störversuche. Als strenggläubiger Kommunist eckte Nono in den folgenden Jahrzehnten auch und gerade in Deutschland immer wieder an. Seit einigen Jahren gibt es jedoch eine regelrechte Nono-Renaissance, wesentlich angestoßen vom heutiger Salzburger Intendanten Markus Hinterhäuser, der als früherer Konzertchef der Festspiele schon viel Nono programmierte. Man darf gespannt sein, wie das Publikum nun auf diese, das darf man bereits verraten, ebenso ernsthafte und konzentrierte wie sämtliche Sinne anregende Inszenierung reagieren wird.
Sendung: "Piazza" am 14. August 2021 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Mittwoch, 25.August, 14:16 Uhr
paul-ludwig voelzing
nonos intolleranza
nur ein gedankensplitter zur rezension: es fragt sich, ob nono nicht nur als strenggläubiger kommunist (im übrigen eine seltsame formulierung!: ein gläubiger kommunist!) aneckte, sondern vor allem auch wegen seiner musikalischen UND politischen intolleranza!