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Kritik - "Katja Kabanova" in Salzburg Bewegendes Musiktheater um echten Gefühlsvulkan

Die Salzburger Festspiele brachten Leoš Janáčeks Opern bereits in den 1990er Jahren auf die Bühne. Die Idee: Man wollte sich mit den gesellschaftlichen Spannungen des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. Jetzt feierte "Katja Kabanova" wieder Premiere in Salzburg - neu inszeniert von Barrie Kosky. Und der zeigt: Dahinter steckt mehr als ein Familiendrama, das irgendwo in Osteuropa spielt. Gestern Abend war Premiere in der Felsenreitschule.

Bildquelle: SF / Monika Rittershaus

Die Kritik zum Anhören

Es ist eine Geschichte, in der alles schiefläuft. Aufbegehren und Entkommen? Unmöglich. Es gibt keinen Ausweg - weder für die Titelfigur noch ihre gesellschaftliche Umgebung. Katja träumt. Sie sehnt sich nach einem anderen Leben, durchleidet innere Konflikte, bevor sie sich mit dem heimlich Geliebten trifft. Ihr Ehemann ist Alkoholiker, die Schwiegermutter eine Despotin. Ihre Liebschaft begreift Katja jedoch als Sünde, beichtet sie öffentlich und geht schließlich in den Tod, in die Wolga.

Barrie Kosky lässt die Bühne weitgehend leer

Als Vorlage dieser pessimistischen Story diente Janáček das russische Drama "Gewitter" von Alexander Ostrowski aus dem 19. Jahrhundert. Das Salzburger Inszenierungsteam um Regisseur Barrie Kosky verzichtet jedoch auf konkrete Orts- oder Landschaftsbilder und ein historisch fixiertes Setting. Die breite Bühne der Felsenreitschule bleibt leer. Eine große Anzahl menschengroßer Puppen steht von Beginn an als Metapher für das Dorf mit dem Rücken zum Publikum frontal an der Steinwand. Die Arkaden sind zugemauert. Die Gesellschaft ist buchstäblich erstarrt, die Atmosphäre klaustrophobisch. Die Anordnung der Puppen verändert sich hinter einem sich mehrfach öffnenden- und schließenden Vorhang. Die große Bühnenfläche wird damit immer wieder neu abgesteckt, Räume für die agierenden Figuren geschaffen.

Phänomenaler Gefühlsvulkan: Corinne Winters als Katia

Barrie Kosky arbeitet sehr präzise, konzentriert sich auf eine detaillierte Personenregie. Ihn interessieren primär die Menschen, also auch die ambivalenten Züge der Frauen- wie Männerrollen und deren Beziehungen untereinander. Dass dieser Ansatz auf der riesigen Bühne überhaupt funktionieren kann, ist dem ausgeklügelten Lichtkonzept von Franck Evin zu verdanken, vor allem aber den phänomenalen Sängerdarstellerinnen und -darstellern rund um die großartige Corinne Winters in der Titelpartie.

Jakub Hrůša formt Janáčeks Musik sehr plastisch

Dirigent Jakub Hrůša trägt die Sänger. Er lässt allen Vokalpartien Freiraum zur differenzierten und individuellen Entfaltung und gibt dabei dennoch nie die Zügel aus der Hand. Unter seiner Leitung erzeugen die Wiener Philharmoniker intime und warme Klangmomente, die abrupt kippen, wenn es sein muss, härter und gestochener werden oder losstürmen. Janáčeks vielschichtige Musik vermittelt sich so plastisch und unmittelbar. Und die Balance zwischen romantisch anmutenden Kantilenen und energisch-kühnen Rhythmen gelingt grandios.

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Der Wiener Staatsopernchor bleibt unsichtbar, singt aus dem Off. Corinne Winters agiert als ein Gefühlsvulkan, gestaltet jeden Ton in der Höhe und Tiefe, jede Silbe und Bewegung. Damit überragt sie als Katja eine exemplarische Ensembleleistung mit Evelyn Herlitzius als furchtbarer Kabanicha, dem expressiven Tenor David Butt Philip als Boris oder Jarmila Balázová als jugendliche Varvara.

Festspielwürdiger Opernabend

"Katja Kabanova" ist in dieser Lesart mehr als ein Familiendrama irgendwo in einem Dorf Osteuropas. Familie wird als archaische Daseinsform skizziert, die mit uns heute zu tun hat - egal wo wir leben. Prägend ist der gesellschaftliche Rahmen. Das überzeugt. Die Dimensionen der Felsenreitschule sind über die gut 90 Minuten aber eine Herausforderung für diese Neuinterpretation. Dennoch: Was bleibt, ist bewegendes Musiktheater, ein festspielwürdiger Opernabend!

Sendung: "Allegro" am 8. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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