"Das kann nur Salzburg: Osterfestspiele im Herbst." Wegen Corona mussten die Osterfestspiele verschoben werden, jetzt am Wochenende vor Allerheiligen wurden sie nachgeholt. Szenische Oper gab es diesmal nicht, dafür eine Reihe von Konzerten. Christian Thielemann, noch bis nächstes Jahr Künstlerischer Leiter der Osterfestspiele, dirigierte Mozart und Wagner – mit höchst unterschiedlichem Resultat.
Bildquelle: OFS/Matthias Creutziger
Kritik
Christian Thielemann bei den "Osterfestspielen im Herbst"
Karrieretechnisch läuft es nicht gut für Christian Thielemann. Drei Leitungspositionen hatte er, bei keiner geht‘s weiter. In Salzburg ist er nur noch bis nächstes Jahr Künstlerischer Leiter der Osterfestspiele. In Bayreuth ist er seit Beginn des Jahres nicht mehr Musikdirektor der Festspiele. Besonders bitter: In Dresden wird sein Vertrag als Chefdirigent der Staatskapelle nicht verlängert. "Warum eckt dieser Dirigent überall an?", fragte zum Auftakt der nachgeholten Osterfestspiele besorgt die Neue Zürcher Zeitung, um dann ohne jeden Beleg zu mutmaßen, dass Thielemann ein Opfer der "wokeness" sei, also einer gesteigerten Form der linken politischen Korrektheit.
Zwar stimmt es, dass Thielemann sich öffentlich politisch konservativ geäußert hat. Aber ausgerechnet die sächsische CDU dürfte das kaum stören. Schließlich ist sie nicht gerade als Epizentrum linksideologischer Umtriebe bekannt. Dass die CDU-Kulturministerin Thielemann schnöde den Laufpass gab, hat viel näherliegende Gründe. Schließlich ist der machtbewusste Dirigent regelmäßig in Disharmonie geschieden. Ein Muster, das sich seit Beginn seiner Karriere wiederholt. Ausschlaggebend dafür sind ja nicht nur politische Entscheidungen. Auch diesmal war offenbar der Rückhalt auch im Orchester nicht mehr stark genug. Thielemann polarisiert eben durch seinen Führungsstil. Man muss ihn deshalb nicht zum Opfer eines schlimmen Mainstreams stilisieren, das schwierige Genies nicht gelten lässt.
Er fällt ja zum Glück auch keineswegs ins Bodenlose. Das Publikum in Salzburg feiert Thielemann jedenfalls demonstrativ nach dem Konzert mit konzertanten Ausschnitten aus Wagners Ring. Schon nach dem Ersten Akt der "Walküre" scheint keiner in die Pause gehen zu wollen, die Leute kriegen sich gar nicht mehr ein. Mit Grund. Thielemanns Wagner ist an diesem hochinspirierten Abend unwiderstehlich gut. Alles, was Thielemann macht, und er macht viel mit dem Tempo, scheint die Musik von sich aus zu wollen. Thielemann lässt sich und das Orchester tragen vom ganz großen Atem, ein kalkulierter Rauschzustand, der – und das ist das Großartige – Wagner wunderbar sinnerfüllt zum Sprechen bringt.
Das Orchester frisst ihm dabei aus der Hand. Der Solocellist übersetzt jede Nuance von Thielemanns Schlag in Kopfbewegungen – und die Gruppe folgt mit traumwandlerischer Sicherheit. Übrigens kann ich mich nicht erinnern, das Cellosolo je schöner gehört zu haben. Überhaupt klingt die Staatskapelle fantastisch. Es gibt sicherlich brillantere Orchester, aber der Klang ist verführerisch sinnlich, charaktervoll und körperhaft: dunkles Gold. Exzellent auch die Solisten: Böse Wucht hat der Hunding von René Pape. Stephen Gould als Siegmund hat absolutes Heldenformat, auch wenn es im piano mittlerweile nicht mehr so geschmeidig klingt wie früher. In Topform singt Anja Kampe die Sieglinde – eine Rolle, die ihr noch mehr liegt als die Brünnhilde in der Götterdämmerung. Deren Schlussgesang beendet den Abend. Nur etwas mehr Textverständlichkeit würde ich mir wünschen. Ja, Thielemanns Wagner ist toll. Schade eigentlich, dass nicht er den nächsten Ring in Bayreuth macht.
Mozarts "Requiem" mit René Pape, Sebastian Kohlhepp, Christian Thielemann, Christa Mayer, Christiane Büttig, Golda Schultz und der Staatskapelle | Bildquelle: OFS/Matthias Creutziger Ganz anders Thielemanns Mozart. Dessen Requiem macht den Auftakt der Festspiele. Thielemann serviert es klanglich in Vollfettstufe. Behäbige Tempi, meist streng durchgehalten, bevor dann bei fast jedem Abschluss ein Riesenritardando als Bremse reingehauen wird: Das ist wenig fantasievoll. Wenn’s kontrapunktisch wird, muss der Salzburger Bachchor, der nicht immer ganz homogen klingt, schulmeisterlich skandieren. Dass Mozarts Musik von der Phrasierung lebt, dass sie vor allem spricht, zum lebendigen Sprechen gebracht werden will – diese Grundeinsicht scheint Thielemann fremd zu sein. Sein Wagner spricht in jedem Takt, sein Mozart klingt sperrig und gestrig. Dass er trotzdem nicht langweilig ist, liegt an den exzellenten Solisten, aus denen Golda Schultz herausragt. Und an der ausgefeilten Dynamik. Thielemann reizt sie nuanciert aus vom kaum hörbaren Pianissimo bis zum markerschütternden Fortissimo. Dadurch bekommt dieser seltsam steife Mozart trotz allem Expressivität.
Nächstes Jahr wird Thielemann in Salzburg übrigens Wagners Lohengrin dirigieren, dann auch wieder szenisch als große Oper. Osterfestspiele an Ostern, Thielemann mit Wagner: Gute Aussichten für den Abschied. Und ganz sicher ist im Fall Christian Thielemann: Es gibt ein Leben nach den Chefpositionen. Wer weiß, vielleicht wird es ja sogar noch schöner.
Sendung: "Allegro" am 2. November 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Montag, 01.November, 19:43 Uhr
TESSEN GHOST SUMMER
ANDROMEDA
Also, ich will ja hier wirklich nicht lobhudeln, das liegt mir gar nicht - aber, die Hölderlin Hymnen von Strauss mit Anja Kampe und den Berliner Philharmonikern 2019 - das war "Andromeda" - und nicht hier in der
Ohne-Karajan/Bernstein-Welt.
Montag, 01.November, 11:55 Uhr
Hans Loibner
Thielemann Walküre 1. Akt
Sie schreiben "Böse Wucht hat der Hagen von René Pape." Es handelt sich bei der sehr gut gesungenen Figur aus dem 1. Akt der Walküre allerdings um Hunding.
Ansonsten eine gute Kritik dieses berauschenden Konzert-Abends.
Anm. d. Red.: Besten Dank für den Hinweis, wir haben den Namen der Rolle korrigiert.