Ein braver Beamter verliert eines Tages seine Nase, die sich daraufhin im höheren Dienst selbstständig macht: Dmitrij Schostakowitsch schrieb mit 21 seine erste Oper nach einer Satire von Gogol. Die ist nun in Hamburg als flotte 100-Minuten-Revue in der unterhaltsamen deutschen Übersetzung von Ulrich Lenz zu sehen – überzeugend hysterisch und abgedreht. Premiere war am 7. September.
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Die Kritik zum Anhören
Wenn Väterchen Stalin schmunzelt, dann haben alle anderen garantiert nichts zu lachen. Deshalb ist das hier auch keine Komödie, sondern ein Trauerspiel, allerdings ein gewitztes. Das nennt sich dann wohl Groteske, wirkt also ungefähr so wie die bitterbösen Karikaturen von George Grosz oder Otto Dix aus der Weimarer Republik: Grell, ätzend, provokant, sarkastisch. Es geht um das Lachen, das im Halse stecken bleibt. Kein Wunder, Dmitri Schostakowitsch war gerade mal 21, als er mit der "Nase" seine erste Oper schrieb, und damals, 1928, in der ganz jungen Sowjetunion, waren alle noch wild bewegt, fest entschlossen, revolutionär im eigentlichen Sinne.
"Die Nase" in Hamburg: Bo Skovhus | Bildquelle: Arno Declair Das ist der Inszenierung von Karin Beier an der Hamburgischen Staatsoper auch jederzeit anzumerken. Klar, ein blutroter Vorhang ist selbstverständlich, dazu lauter ebenso rote Jubel-Fähnchen über den Boden gestreut, als ob gerade eben eine kommunistische Großdemonstration zu Ende ging. Ein paar Meteoriten stehen an der Seite traurig herum, Sterne funkeln im Hintergrund, es wird kurz zu einer Raumstation geschaltet: Alles Sinnbilder für die Utopie, für die grenzenlose Euphorie, für den Aufbruch in unbekannte Welten, in den Kosmos. Soweit, so schreckenerregend, denn mitten auf der Drehbühne erhebt sich ein Wachturm, ein Überwachungsspiegel, es wimmelt vor Polizei.
Das sind die zwei Seiten jeder Diktatur: Jubelstürme einerseits, ganz viel Pathos, totale Überwachung andererseits. Schostakowitsch musste diesen Widerspruch zeit seines Lebens aushalten: Offiziell als sowjetischer Vorzeigekomponist gewürdigt, tatsächlich immer wieder in Todesangst vor Stalins Launen. Jede Oper konnte das Straflager bedeuten. Es ist schon bemerkenswert, wie unverwüstlich "Die Nase" ist, diese Satire von Nikolai Gogol (1836), mit der ursprünglich zaristische Spießer und ihr Dünkel aufs Korn genommen wurden.
Eine Nase macht sich selbständig, wird sogar Geheimer Staatsrat und lustwandelt durch den Park – wo gibt's denn sowas? Überall natürlich, denn diese Nase könnte für einen Titel stehen, für einen Orden, für einen Reisepass oder eine Gehaltsgruppe. Wehe dem, der all das verliert. Er wird zum Nichts, weshalb der "entnasifizierte" Kollegienassessor Kowaljow auch entsprechend nervös ist. Er rennt zur Polizei, zur Zeitung, zum Arzt, aber überall nur Unverständnis.
"Die Nase" in Hamburg: Renate Spingler, Tänzer, Chor der Hamburgischen Staatsoper | Bildquelle: Arno Declair Karin Beier und ihr Ausstatter Stéphane Laimé zeigen das in Hamburg als flotte 100-Minuten-Revue in der unterhaltsamen deutschen Übersetzung von Ulrich Lenz. Da weigert sich der Annoncen-Leiter, eine Suchanzeige nach der Nase aufzugeben, weil es schon genug "Fake News" in der "Lügenpresse" gebe. Die Wahrheit glaubt demnach sowieso keiner, also darf ein Polizist auch jede Menge Verschwörungstheorien zum Besten geben, nachdem zum Beispiel die CIA mit der Krankenkasse paktiert und der Orchestergraben der Hamburgischen Staatsoper direkt mit der Binnenalster in Verbindung steht.
Das ist überzeugend hysterisch und abgedreht und wird dieser Zeit-Oper gerecht, denn Gesellschaftskritik muss tagesaktuell sein, wenn sie treffen soll. Regisseurin Karin Beier, im Hauptberuf Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, begnügt sich auch nicht mit einer Stalinismus-Groteske. Immer wieder hebt der Mob den rechten Arm zum sogenannten "deutschen Gruß", die Diktaturen funktionieren ja alle gleich. Kostümbildnerin Eva Dessecker lässt das Volk als speckige Maden auftreten, lauter übergewichtige, blasse, begeisterungswillige Figuren, die in der "Umlaufbahn" mit ihren Hintern wackeln und gern mal mit Schlagstöcken tanzen.
"Die Nase" in Hamburg: Bo Skovhus, Levente Páll | Bildquelle: Arno Declair
Die titelgebende Nase ist übrigens irgendwann wieder an ihrem alten Platz, aber ein Happy End ist das mit Sicherheit nicht: Nichts ist mehr selbstverständlich, nicht mal das eigene Riechorgan, das hat die Diktatur aus den Menschen gemacht. Kent Nagano hatte "Die Nase" schon 2002 in Berlin an der dortigen Staatsoper sehr erfolgreich dirigiert, er ist der ideale Mann für diese Art von schlagzeuglastiger Musik des 20. Jahrhunderts. Neun Perkussionisten leisten sich auf der Bühne eine Rhythmus-Schlacht, es jault und faucht aus dem Graben, und Nagano genießt es, die Heftigkeit und Risikofreude des jungen Schostakowitsch zum Klingen zu bringen. Dabei ist Nagano feinsinniger und detailverliebter, als es in dem herrlich makabren Radau scheint.
Enttäuschend war allenfalls der Chor, der für diese scharfe Groteske eindeutig zu harmlos spielte und sang. Die Solisten dagegen begeisterten, allen voran Bo Skovhus als hünenhafter Kollegienassessor, Kristof Van Boven als bizarrer "Nasen-Prediger" Hüsrev-Mirza und Levente Páll als rasiermesserschwingender Bartschneider. Sie alle sind Karikaturen ihrer selbst, aber dabei glaubwürdig, ehrlich bis zur Schmerzgrenze. Insgesamt ein beachtlicher Saisonauftakt an der Hamburgischen Staatsoper mit viel Beifall und sehr vereinzelten Protestrufen gegen die Regie.
Sendung: "Allegro" am 9. September 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Informationen zu Terminen, Besetzung und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage der Hamburger Staatsoper.