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Kritik - Premiere in Dresden Hindemiths Oper "Mathis der Maler"

Es ist ein Werk über den Gegensatz von Geist und Macht, Kreativität und Ideologie, Freiheit und Engstirnigkeit: Paul Hindemiths "Mathis der Maler". Für BR-KLASSIK Kritiker Peter Jungblut ist es das Stück der Stunde an der Dresdner Semperoper. Am Sonntag hatte die Oper in einer Inszenierung von Jochen Biganzoli Premiere.

Bildquelle: Jochen Quast

Kritik - Premiere in Dresden

Hindemiths Oper "Mathis der Maler"

So sieht also eine kulturelle Kampfzone aus: Die Dresdner Semperoper gleicht optisch einer Art Festung. Deutlich distanziert sie sich von den wöchentlichen Pegida-Demonstranten vor der eigenen Haustür: Bunte Fahnen vor dem Eingang, Transparente und eine riesige Video-Wand an der Fassade werben für Toleranz und Willkommenskultur. Noch deutlicher äußert sich die Kunstakademie ganz in der Nähe, da warnen Plakate in den Fenstern vor den "Mittelstands-Faschisten".

Furios, bildstark und gedankenreich

Szene aus "Mathis der Maler" an der Semperoper Dresden | Bildquelle: Jochen Quast Bildquelle: Jochen Quast Adolf Hitler persönlich hatte 1934 eine Uraufführung von "Mathis der Maler" in Deutschland verhindert, Goebbels bezeichnete Hindemith als "atonalen Geräuschemacher", eine Rede, die am Sonntagabend bei der Premiere auch aus dem Lautsprecher dröhnte. In der Semperoper blieben übrigens viele Sitze leer: Moderne Werke haben es hier besonders schwer, sowohl bei Touristen, als auch bei Dresdnern. Die einen wollen sich nur gut unterhalten, die anderen ihre Vorurteile bestätigt haben: Es gibt Städte, die es Künstlern leichter machen. Regisseur Jochen Biganzoli und sein Bühnenbildner Andreas Wilkens zeigten "Mathis, der Maler" als furiose, bildstarke und gedankenreiche Revue über den Grundkonflikt aller Künstler: Verweigerung oder Anpassung, Entfaltung oder Auftragsarbeit. Dabei wird der titelgebende "Mathis, der Maler", keineswegs, wie bei Hindemith, mit dem Maler Matthias Grünewald gleichgesetzt, obwohl dessen berühmter Isenheimer Altar kurz auf der Bühne zu sehen ist, bezeichnenderweise als Versteigerungsobjekt, das von einem hysterischen Auktionator schließlich für 200 Millionen unter den Hammer kommt. Mathis, der zwischen Karriere und Gewissen zerrissene Künstler, das ist in Jochen Biganzolis Interpretation auch Komponist Paul Hindemith selbst, der 1938 Deutschland verlässt und im Schlussbild resigniert zwischen lauter leeren Notenständern hockt.

Jesus schwenkt Einkaufstüten

Szene aus "Mathis der Maler" an der Semperoper Dresden | Bildquelle: Jochen Quast Bildquelle: Jochen Quast In einem wahren Assoziationsrausch lässt Biganzoli zeitgenössische und moderne Künstler wie Robert Longo, Roy Lichtenstein, Ernst Ludwig Richter und Claude Monet mit Zitaten zu Wort kommen. Exemplarische Werke von ihnen sind meterhoch auf der Bühne zu sehen, Kirchners Bild eines verstümmelten Soldaten brennt effektvoll ab. Die Spielfläche ist eingerahmt von 16 Metallgestängen, die an Staffeleien erinnern: Walzen lassen ihre Bespannung von weiß auf schwarz wechseln, von Zuversicht auf Untergang. In einer wild bewegten Vision wird Mathis von Krieg, Geld und Macht heimgesucht. Ein bleicher Jesus schwenkt, am Kreuz hängend, Einkaufstüten. Der Chor der Konsumenten sieht aus, als ob er Brechts "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" zum Besten gibt: knallbunt und dem Kaufrausch ergeben. Über vier Stunden hinweg gelingt es Biganzoli so beeindruckend wie abwechslungsreich, das eigentlich abstrakte, unzugängliche Thema bühnentauglich zu machen. Ganz stark auch eine blutige Kriegsszene, in der die Soldateska aus dem Bühnenhimmel herabschwebt und rote Konfettikanonen zündet. Bauernkrieg, Luther und Reformation: Es war eine Zeit, in der Künstler gefährlich lebten, vor allem solche, die sich mit dem Volk solidarisch erklärten.

Simone Young dirigiert

Dirigentin Simone Young brachte die Sächsische Staatskapelle zum Funkeln, Gleißen und Strahlen, wie sie es in ihrer Zeit als gestresste Hamburger Intendantin mit dem dortigen Orchester selten schaffte. Ein überwältigendes Klanggemälde! Markus Marquardt in der Titelrolle blieb stimmlich streckenweise etwas zurückhaltend, war schauspielerisch aber großartig. John Daszak begeisterte als eitler, opportunistischer Fürstbischof Albrecht von Brandenburg. Annemarie Kremer gab eine hinreißend aufgewühlte, von der Reformation beseelte Ursula. Alle Beteiligten, der Chor, die Tänzer, die Statisten, waren offensichtlich mit Überzeugung und hochmotiviert bei der Sache. Ein herausragender Abend an der Semperoper und in Dresden geradezu ein Fanal, also ein Leuchtfeuer für die soziale Verantwortung jeder Art von Kunst.

"Mathis der Maler" an der Semperoper Dresden

Musikalische Leitung: Simone Young
Inszenierung: Jochen Biganzoli
Bühnenbild: Andreas Wilkens

Mit John Daszak (Albrecht von Brandenburg), Markus Marquardt (Mathis), Matthias Henneberg (Lorenz) und weiteren

Premiere: 1. Mai 2016
Weitere Termine: 4., 10., 15. und 20. Mai 2016 (ohne Gewähr)

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