Seit der Koreaner Seong-Jin Cho im Jahr 2015 den Chopin-Wettbewerb gewonnen hat, zählt der Pianist zu den Weltstars der Klassik. Sein Erfolg steht außerdem für einen Trend. Südkorea steht inzwischen an der Spitze, wenn es um den Klassiknachwuchs geht. Im Interview mit BR-KLASSIK erzählt der 27-Jährige, der aktuell durch Europa tourt, vom Klassik-Hype in seinem Land. Außerdem Thema: sein Verhältnis zu Chopin und der koreanische Netflix-Mega-Erfolg "Squid Game".
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Vor sechs Jahren gewann Seong-Jin Cho den Chopin-Wettbewerb. Seitdem hat er insgesamt sechs Alben vorgelegt. Ganz schön fleißig. Und ganz schön vielseitig. Sein Repertoire reicht von Mozart bis Alban Berg. Zwei, bei denen Cho gerne die analytische Brille aufsetzt. Anders sein Debussy: leicht und leuchtend. Nicht zu vergessen sein Chopin: immer rhythmisch, manchmal angriffig, nie verkitscht.
Der Wahlberliner ist ein aufgeräumter Spieler. Einer, der die Energie nicht rausschleudert, sondern cool in die Tasten bändigt. Auf jeden Fall ein Virtuose, der ohne große Gesten auskommt. Das macht den Südkoreaner zu einem der derzeit gefragtesten Pianisten. Laut einer Online-Umfrage der Universal Music Group ist er sogar der populärste Klavierspieler der Welt. Noch vor Kolleginnen und Kollegen wie Martha Argerich oder Daniil Trifonov.
Man muss sowas nicht ernst nehmen. Wahr ist jedoch: In seinem Heimtland ist Cho ein Superstar. Ja, sogar Popstatus genieße er dort, liest man immer wieder über ihn. Seong-Jin Cho kann darüber nur den Kopf schütteln. Ein Popstar sei er bestimmt nicht, sagt er im Gespräch mit BR-KLASSIK: "Ehrlich gesagt: Mich interessiert der Fame auch gar nicht. Was ich will, ist Konzerte spielen!"
Der Fame interessiert mich nicht!
In Korea ein Popstar? Der Pianist Seong-Jin Cho | Bildquelle: picture-alliance/dpa Aber auch Seong-Jin Cho gibt zu: Nach dem Gewinn des Chopin-Wettbewerbs sei die Aufmerksamkeit riesig gewesen und jedes Konzert restlos ausverkauft. Mit den Live-Mitschnitten vom Wettbewerb schaffte er es sogar auf Platz 1 der Pop-Charts: über drei Millionen verkaufte Alben. Kein Wunder, immerhin ist Cho der erste Koreaner überhaupt, der den vielleicht renommiertesten Klavierwettbewerb der Welt gewinnen konnte. Und das in einem Land, in dem die Klassikbegeisterung wahrscheinlich größer ist als irgendwo sonst auf der Welt.
Verglichen mit Europa sei das Publikum in Südkorea vor allem jünger, betont der Pianist im Interview mit BR-KLASSIK. Verkehrte Welt, mag man da denken. Während bei uns koreanische Kultur durch die Decke geht, siehe K-Pop oder den Netflix-Serien-Erfolg "Squid Game", steht in Korea europäische Klassik ganz oben auf der Hitlist. Und nicht nur beim Publikum. Auch was den musikalischen Nachwuchs angeht, ist Südkorea mittlerweile Spitzenreiter.
Seong-Jin Chos Erfolg ist nur der Gipfel des Eisbergs. Schon 2007 kam ein Viertel aller Preisträgerinnen und Preisträger internationaler Musikwettbewerbe aus Korea. Und an deutschen Musikhochschulen machen koreanische Musikerinnen und Musiker mittlerweile den größten Anteil an internationalen Studierenden aus. Eine Erklärung dafür hat Seong-Jin Cho nicht. Er vermute, es habe damit zu tun, dass Kultur und Kreativität in Korea generell viel gelte. "Nicht nur Musik, sondern auch Film, eigentlich jede Art von Kunst", so Cho.
Er sei überzeugt, dass es in Korea noch sehr viel mehr fantastische Musikerinnen und Musiker gebe, die einfach nicht die Chance bekämen, sich in Europa durchzusetzen, sagt Cho. "Hier eine Karriere aufzubauen, wenn du aus Korea kommst, ist gar nicht so leicht. Die Konkurrez ist wahnsinnig stark. Und dann kommt Klassik ja auch noch von hier. Da musst du schon sehr besonders sein. Oder einfach besser."
Ich glaube immer noch, dass koreanische Musikerinnen und Musiker in Europa sehr unterschätzt werden.
Seong-Jin Cho passiert das schon lange nicht mehr. Mit seiner jüngsten Chopin-Einspielung hat er seinen Ruf als Klavierkünstler von internationalem Rang nochmal unterstrichen. Allein wie er an die vier Scherzi rangeht: elegant, aber nicht distanziert. So sehr die Läufe blitzen, so sehr brodelt in ihnen eine Energie, die gerade deshalb so spürbar wird, weil Cho sie so mühelos beherrscht. Ein cooler Notendompteur, der fast ein bisschen an Arturo Benedetti Michelangeli erinnert.
Ich fühle mich Chopin inzwischen näher!
Ob sich sein Chopin-Spiel über die Jahre verändert habe, wisse er selbst nicht so genau, sagt Cho. "Das kann das Publikum wahrscheinlich besser beurteilen als ich." So sei es ja immer mit dem Älterwerden, sagt der Koreaner. Das Gesicht und die Stimme verändere sich, aber man kriege das gar nicht mit. In der Musik sei das ähnlich. "Was ich immerhin sagen kann: Ich fühle mich Chopin näher, ganz persönlich. Und das hat auf jeden Fall mit Lebenserfahrung zu tun."
Und zum Leben gehört mehr dazu als nur die Musik. Auch mit koreanischer Popkultur kann Cho etwas anfangen. Klar habe er "Squid Game" geschaut, sagt er – und lacht.
Sendung: "Leporello" am 11. Novermber 2021 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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