Am Samstagabend kam am Mainfrankentheater Würzburg eine Opernversion von Hermann Hesses Roman "Der Steppenwolf" zur Uraufführung. BR-KLASSIK Kritiker Peter Jungblut fragt sich, ob die Vorlage für einen zeitgenössischen Musiktheaterabend taugt - was nicht an der Musik von Viktor Aslund liegt.
Bildquelle: © Falk von Traubenberg
Hesses Steppenwolf als Oper
Die Kritik zum Anhören
In den siebziger Jahren war ja vieles schwer angesagt, was heute entweder unzumutbar oder absurd erscheint: Apfelshampoo zum Beispiel, Kunstfaserhemden, Schlaghosen, Sprühsahne oder Hermann Hesse-Romane. Insofern war es einigermaßen verwunderlich, dass am Würzburger Mainfrankentheater gestern Abend ausgerechnet "Der Steppenwolf" zur Uraufführung kam, ein 1927 geschriebener Roman, der zuletzt vor ungefähr 40 Jahren im Gespräch war. Seitdem ist es um Hermann Hesse still geworden. Wenige können mit seiner betulichen Bildungsbürger-Esoterik, mit der Mischung aus Psychoanalyse, Midlife-Crisis und Zivilisationskritik noch viel anfangen.
Im "Steppenwolf" geht es, wie der Titel schon sagt, um das Tier im reiferen Manne, um den Gegensatz von Trieb und Verstand, zügelloser Freiheit und verklemmter Bildungsbeflissenheit. Der biedere Anzugträger und verschwiemelte Goethe-Bewunderer Harry Haller, die knapp fünfzigjährige Hauptfigur, fühlt in sich den wilden "Steppenwolf", der in der Oper des schwedischen Komponisten Viktor Aslund auch permanent als verwahrloster, unrasierter Doppelgänger auf der Bühne ist und unheilvoll mit seinen Händen gestikuliert. Das ist nicht nur unfreiwillig komisch, sondern erinnert auch sehr an "Dr. Jekyll und Mr. Hyde", den romantischen Schauer-Roman von Robert Louis Stevenson.
Vermutlich hätte diese Vorlage als Musical weit besser funktioniert, doch Rainer Lewandowski, Jahrgang 1950, fand den "Steppenwolf" offensichtlich interessanter. Jedenfalls verfasste der langjährige Leiter des Bamberger Theaters mit Genehmigung des Suhrkamp-Verlags ein Libretto nach dem Hesse-Roman. Überzeugen konnte Lewandowski, dessen Stücke generell sehr umstritten sind, mit seiner Textfassung nicht - ganz im Gegenteil: Aus vermeintlichem Pathos wurde oft schwüler Kitsch.
Viktor Aslund komponierte dazu eine durchaus effektvolle, unterhaltsame Musik, die am ehesten als "Musical für Bildungsbürger" bezeichnet werden könnte: Es gibt zahlreiche intellektuelle Anspielungen, Verweise auf Mozart, Brahms und Wagner, aber auch Tanzmusik, die ja in Deutschland unter dem fälschlichen Verdacht steht, grundsätzlich seicht und oberflächlich zu sein. Erst beim Neujahrskonzert, so Aslund im Programmheft zur Würzburger Uraufführung, wird etwa ein Walzer plötzlich als Hochkultur akzeptiert.
Humor hat Aslund reichlich, aber leider teilen den weder Hermann Hesse noch Rainer Lewandowski. Insofern war es eine anstrengende Übung, diesem "Steppenwolf" aufmerksam zu folgen. Das Publikum reagierte eher mit pflichtschuldigem als begeistertem Beifall, von den Aslund-Fans im Saal abgesehen.
Regisseurin und Choreographin Anna Vita gelang allerdings eine bildgewaltige, sehr überzeugende optische Umsetzung der schwer vermittelbaren Vorlage. Sie zeigte fesselnde Traumbilder, ein wirkliches "Magisches Theater", das bei Hesse Sinnbild für verdrängte Sehnsüchte ist. Die Maskenbildner und Bühnentechniker hatten mit der opulenten Ausstattung von Verena Hemmerlein alle Hände voll zu tun. Vom Krankenzimmer über eine Gelehrtenstube bis zu einem Varieté reichten die Schauplätze. Goethe fliegt durch die Luft, Brahms kommt aus der Hölle und Mozart treibt hinter Schleiern Schabernack. Eine enorm aufwändige Revue mit allem, was der Abiturient vor vierzig Jahren so drauf hatte.
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Daniel Fiolka als Harry Haller und Silke Evers als dessen angebetete Hermine waren hoch motiviert und spielfreudig bei der Sache, auch Rupert Markthaler als Latin Lover Pablo und Bryan Boyce als unheimlicher Steppenwolf überzeugten. Großartig auch die Leistung des Philharmonischen Orchesters Würzburg unter Leitung von Sebastian Beckedorf: Er hatte ein ausgeprägtes Gespür für die Komik in der Partitur, für das Augenzwinkern des Komponisten. An der Musik lag es nicht, dass der Abend kein durchschlagender Erfolg wurde, sondern eher an Hermann Hesse. Aber Heinrich Böll und Max Frisch, andere große, angesagte Namen der Literatur der siebziger Jahre, finden ja heute auch kaum noch Leser.
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