Karlheinz Stockhausens monumentaler Opernzyklus "Licht – die sieben Tage der Woche" verbindet Biographisches mit Esoterischem, Kammermusikalisches mit aufwändiger Elektronik. Am Wochenende stemmte das Holland Festival in Kooperation mit dem Königlichen Konservatorium in Den Haag und der Niederländischen Nationaloper einen dreitägigen Marathon unter dem Titel "Aus Licht", bei dem wesentliche Stücke aus dem Gesamtzyklus auf die Bühne gebracht wurden.
Bildquelle: © Ruth & Martin Walz / Dutch National Opera
Heerscharen von Musikern wandern, schleichen oder rennen durch den riesigen Gasometer in der Amsterdamer Westergasfabriek. Manche spielen Trompete, andere Posaune. Die Trompeter sind mehrmals am Ende, unterliegen den kämpferischen Posaunen. Was für die aus aller Welt angereiste Stockhausen-Fangemeinde sofort klar ist, erschließt sich Uneingeweihten nicht immer. Doch zum Finale des dreitägigen Marathons mit rund 15 Stunden Musik aus dem doppelt so langen "Licht"-Zyklus spürt man umfassende Überwältigung beim Publikum sowie beim musikalischen Mastermind, Stockhausens Witwe Kathinka Pasveer und bei vielen der über 600 Mitwirkenden.
Bildquelle: © Ruth & Martin Walz / Dutch National Opera Regisseur Pierre Audi und sein kongenialer Dramaturg Klaus Bertisch haben das Wunder vollbracht, den ausufernden Klang- und Geisteskosmos Stockhausens erlebbar zu machen. Mal konkret inszeniert, mal als reine Konzertinstallation mit Lichteffekten, oder als Zwitter aus beidem. Urs Schönebohm hat für den Gasometer eine ausgeklügelte, in jedem Moment brillante Lichtarchitektur entworfen, zentrales Element sind viele, teils geschwungene Neonstreben. Üppige Lautsprecherbatterien sorgen für perfekten Raumklang. Es wird vor allem auf großen Stahlgerüsten gespielt, gesungen und getanzt.
Ein Teil der Musizierenden wurde eigens zwei Jahre lang im Rahmen eines Masterstudiengangs für dieses Projekt ausgebildet. Stockhausens penible szenische Vorgaben befolgt das Team immer dann exakt, wenn es musikalisch wirklich Sinn macht, erst danach kommt das Spiel mit den teilweise sehr enigmatischen Inhalten. Die Hauptfiguren der Heptalogie sind Michael, Eva und Luzifer. Sie tauchen als Sänger, Musiker und Tänzer auf. Sie erinnern entfernt an biblische Figuren, spiegeln aber auch Stockhausens Kindheit und Jugend sowie seine esoterische Lesebiographie wider.
Bildquelle: © Ruth & Martin Walz / Dutch National Opera Über oder auch hinter allem steht jedoch eine zutiefst menschliche, verbindende Grundüberzeugung: die Idee, dass alle Fragmente letztlich Teil einer großen Einheit sind. Daher gewinnt Stockhausen sein musikalisches Material auch aus einer einzigen Grundformel, die sich dehnt, streckt, mäandert. Oft gehen Pathos und Humor Hand in Hand, wenn etwa ein "Welt-Parlament" tagt, bei dem die Mitglieder allesamt in diversen Fantasiesprachen über Liebe singen. Irgendwann unterbricht der Hausmeister und schimpft, jemand habe falsch geparkt. Es ist der Präsident!
Manche Szenen sind sehr musiktheatral und narrativ angelegt, andere wirken als wären sie nicht fertig komponiert. Am spektakulärsten, jedenfalls auf dem Papier, wirkt das "Helikopter-Streichquartett". Das Pelargos-Quartet spielt in Hubschraubern um die Wette gegen die Rotorblätter. Klingen tut das leider äußerst dürftig, banal und monoton. Wobei der Komponist eigentlich gar keine Fluggeräte wollte, die Musiker sollten vielmehr auf vier Planeten musizieren, was leider damals wie heute aus organisatorischen Gründen scheiterte.
Der ehrliche, unverstellte Zugang, die fulminante musikalische Umsetzung, der Spirit des Teams, all das macht die Amsterdamer Aufführung zu einem echten Gesamtkunstwerk ohne Wenn und Aber, dafür mit allumfassendem Amen.
Sendung: "Leporello" am 04. Juni 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK