Benjamin Britten hat ihn bekommen, Leonard Bernstein, Yehudi Menuhin, Anne-Sophie Mutter oder auch Mariss Jansons: Den Internationalen Ernst von Siemens Musikpreis. In diesem Jahr geht die mit 250.000 Euro dotierte Auszeichnung an die Bratschistin Tabea Zimmermann.
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"Das Einschwingen, das Gesangliche auf der Bratsche, das hat wirklich Vorteile gegenüber der Geige", sagt Tabea Zimmermann über ihr Instrument. "Wir können auch schnell spielen auf der Bratsche, das ist nur ein größerer Aufwand, also wenn wir genauso flinke Töne produzieren wollen, brauchen wir eine schnellere Technik als die Geiger. Das wird oft übersehen." Dass die Viola als Soloinstrument genauso geeignet ist wie die Geige oder das Cello, hat Tabea Zimmermann der Musikwelt längst bewiesen.
Ich war erst mal sehr ungläubig. Dann habe ich mich aber sehr groß gefreut.
Anders als viele ihrer Kollegen und Kolleginnen hat die 53-Jährige mit dem dunklen Kurzhaarschnitt und dem charmanten Lächeln nicht erst Geige gespielt und später zur Viola gewechselt, sondern von Anfang an Bratsche gelernt. Schon als Dreijährige wollte sie unbedingt Musik machen. Im badischen Lahr wuchs sie in einer musikalischen Familie auf: "Der älteste Bruder hat Klavier gespielt, meine Schwestern Geige und Cello. Ich wollte einfach mitmachen und habe mir mit dem Notenpult und zwei Kochlöffeln dann meine eigene Musiksituation hergestellt."
Wenn sich Tabea Zimmermann heute die strengen Übepläne ihrer Kindheit durchliest, treibt es ihr die Schweißperlen auf die Stirn. Aber ihre Ausdauer und Disziplin haben sich gelohnt: Als 13-Jährige war Tabea Zimmermann bereits Jungstudentin an der Freiburger Musikhochschule, mit knapp 16 gewann sie ihren ersten Internationalen Wettbewerb, den Concours de Genève. Daraufhin beschloss sie, die Schule nach der zehnten Klasse abzubrechen und sich ihrer Solokarriere zu widmen.
An zeitgenössischer Musik finde ich diesen Suchprozess so spannend: Dass man aus den Pünktchen auf den Papier eine Vorstellung zusammenbaut, aus der dann Musizieren wird.
Bildquelle: Marco Borggreve Dass das Solo-Repertoire für die Bratsche begrenzt ist, empfindet Tabea Zimmermann nicht als Nachteil, sondern als Glücksfall. So kann sie regelmäßig neue zeitgenössische Werke uraufführen. Zahlreiche Komponisten hat sie schon inspiriert, für die Bratsche zu schreiben - darunter Heinz Holliger und Wolfgang Rihm. Auch der Komponist Paul Hindemith liegt ihr sehr am Herzen. 2013 spielte sie seine gesamten Werke für Bratsche ein. Etwa 50 Konzerte gibt Tabea Zimmermann im Jahr. In dieser Saison ist sie Artist in Residence beim Royal Concertgebouw Orchestra in Amsterdam. Ob Standardrepertoire oder zeitgenössische Uraufführung: Die Bratschistin hat ganz klare Vorstellungen, wenn sie als Solistin mit einem Orchester arbeitet: "Ich finde es ideal Orchesterwerke, auch wenn sie riesengroß besetzt sind, als Kammermusik zu begreifen", sagt sie.
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Wenn es nach Tabea Zimmermann ginge, sollte jeder angehende Musiker auch Kammermusik machen. Sie selbst hat in ihrer Kindheit 15 Jahre lang mit ihren Schwestern im Streichtrio gespielt. Inzwischen ist sie Mitglied des Arcanto Quartetts - gemeinsam mit Antje Weithaas, Daniel Sepec und Jean-Guihen Queyras. Eine Art Wunschfamilie, wie Tabea Zimmermann ihre Kammermusikpartner manchmal bezeichnet. "Das Solospielen mit Orchester macht auch viel Spaß, aber es erfüllt nicht so wie die Gemeinsamkeit, die man in der Kammermusik findet", sagt die Bratschistin. "In unserem Quartett ist es einfach wunderschön, dass die musikalische Arbeit und die Freundschaft zusammenwachsen."
Ich finde es ideal Orchesterwerke, auch wenn sie riesengroß besetzt sind, als Kammermusik zu begreifen.
In diesen Monaten steht Beethoven bei Tabea Zimmermann im Mittelpunkt: Seit fünf Jahren ist sie Künstlerische Leiterin der Beethoven-Woche in Bonn. Und für das Beethoven-Jubiläum hat sie 16 Konzerte rund um Beethovens Kammermusik-Oeuvre konzipiert.
Musikalisches Know-How weitergeben, sieht Tabea Zimmermann als Lebensaufgabe an. Mit gerade mal 21 wurde sie Deutschlands jüngste Professorin an der Musikhochschule Saarbrücken. Inzwischen wohnt die Bratschistin mit ihren drei Kindern in Berlin. Dort hat sie seit 18 Jahren eine Professur an der Musikhochschule Hanns Eisler. Eine bereichernde Erfahrung, weil auch sie selber viel von den Studenten lernen kann, wie Tabea Zimmermann sagt. Doch sie äußert sich auch kritisch über die Musikausbildung in Deutschland und appelliert an die Politik, kulturelle Bildung ernster zu nehmen. Und zwar von Anfang an: "Ich wünsche mir eine solide und hochmusikalische Grundausbildung für ganz viele Kinder und für wenig Geld, und glaub, dass wir unsere musikalischen Wurzeln viel breiter austreiben müssten, um daraus wieder in die Spitze gehen zu können.
Der Ernst von Siemens Musikpreis gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen im Bereich der Musik. Der seit 1973 jährlich verliehene Preis geht an Interpreten, Komponisten oder Wissenschaftler, die sich insbesondere um die Neue Musik verdient gemacht haben. Zu den Preisträgern zählen bislang unter anderem Benjamin Britten, Hans Werner Henze, Helmut Lachenmann, Per Nørgård, Nikolaus Harnoncourt, Michael Gielen, Anne-Sophie Mutter und Mariss Jansons.
Sendung: Allegro am 23. Januar 2020 ab 6.30 Uhr auf BR-KLASSIK.