Alte Musik-Fans wissen, was sie über Pfingsten tun: Sie fahren nach Regensburg zu den Tagen Alter Musik. Dort kann man an vier Tagen siebzehn Konzerte hören und ganz tief in den Kosmos der historischen Aufführungspraxis eintauchen. Man kann renommierte Ensembles, aber auch Newcomer hören, die in ausgefeilten Programmen Musik vom Mittelalter bis zur Romantik spielen. Auch der 34. Jahrgang des Festivals enttäuschte nicht.
Bildquelle: © Martin Förster
"Ich liebe das Risiko, denn für mich gibt es diese Grundregel, dass ich in meinem Leben keine Momente kopieren will. Ich will immer neu schöpfen." Dies sagt die Geigerin Meret Lüthi, die bei den Tagen Alter Musik in Regensburg zusammen mit der Geigerin Sabine Stoffer und dem Ensemble Les Passions de l’Ame ein Experiment gewagt hat: Am Freitagabend, 18. Mai, haben sie acht verschiedene Geigen, die von Geigenbauern gefertigt worden waren, die ihre Instrumente in der parallel zum Festival laufenden Instrumentenausstellung zeigten, getestet und die passenden Geigen für vier Partien aus der Sammlung "Harmonia Artificiosa Ariosa" von Heinrich Ignaz Franz Biber ausgesucht, die sie dann im Konzert am Sonntagvormittag gespielt haben. Wenig Zeit blieb den beiden Geigerinnen, sich mit den Instrumenten vertraut zu machen, doch das Risiko, das sie damit eingegangen sind, hat sich gelohnt: Ihr Konzert war eines von vielen eindrücklichen Konzerterlebnissen bei den diesjährigen TAM in Regensburg.
Viel zu entdecken und zu bewundern gab es in diesem Jahr: Zum Beispiel konnte man gleich drei Zinkenisten hören. Einer davon ist der Amerikaner Bruce Dickey, der Ende der 70er Jahre eine Renaissance dieses Instrumentes eingeleitet und über 30 Jahre an der Schola Cantorum in Basel unterrichtet hat. In Regensburg musizierte er mit der Sopranistin Hana Blažková und Ensemble unter dem Titel "Breathtaking". Es war ein sehr interessantes Programm, das eindrucksvoll gezeigt hat, wie nah der Zink der menschlichen Stimme ist.
Die Musiker haben unter anderem Motetten von Giacomo Carissimi oder Sigismondo D’India ausgesucht, die eigentlich für zwei Sopranstimmen geschrieben sind, in dem Konzert aber mit Sopran und Zink musiziert wurden. Zudem erklang Musik der zeitgenössischen griechischen Komponistin Calliope Tsoupak: ein Werk für Zink und Stimme. Am Ende schließlich gelangten drei Arien mit obligatem Zink aus Alessandro Scarlattis Oper "Emireno, o vero Il consiglio dell’ombra" zu Gehör. Ein geschmackvoll zusammengestelltes Programm mit höchsten Anforderungen an die Sängerin und an den Zinkenisten.
In Alto | Bildquelle: © Zenzel
Wie hoch das Niveau auf dem Zink derzeit ist, zeigte sich auch in den Konzerten von Dickeys ehemaligen Schülern: Lambert Colson etwa und sein junges belgisches Ensemble InAlto, das unter dem Motto "La Liberazione Di Venezia - Befreiung von der Pestepedemie" Vokalwerke, aber auch Instrumentalstücke von Gabrieli, Monteverdi, Bassano und anderen Komponisten präsentierte. Der dritte Zinkenist, den man auf den TAM Regensburg hören konnte, war Jean Tubery, Mitglied des Ensembles Stylus phantasticus. Dieses Ensemble wird von der Münchner Gambistin Friederike Heumann geleitet und verband in seinem Programm mit dem Titel "La carte de tendre oder die Geographie der Gefühle" Lieder aus der Gattung des Air de cour mit Instrumentalstücken.
Die "Airs de cour" - weltliche Lieder, die zwischen 1570 und 1660 vor allem am französischen Hof musiziert wurden - loten die vielfältigen Gefühlswelten eines Liebenden aus. Die Sängerin Claire Lefilliâtre hat dieser Lieder mit ihrem dunkel timbrierten Sopran auf sehr einfühlsame und eindrückliche Art interpretiert. Das Ensemble hat sie dabei perfekt unterstützt. Ein Konzert wie aus einem Guss, bei der Friederike Heumann an der Diskant-Gambe seufzte, drängte, sich sehnte und Jean Tubery, die Lieder mal mit kunstvollen Diminutionen auf dem Zink, mal auf der Blockflöte bereicherte.
Wie jedes Jahr waren aber nicht nur kleinere, sondern auch größere Ensembles und Orchester in Regensburg vertreten. Ein gelungenes Debüt gab das Dresdner Barockorchester La Folia, das zusammen mit dem Gesangsensemble Polyharmonique ein Programm mit Bearbeitungen von Johann Sebastian Bach präsentiert hat. Beeindruckend plastisch und durchsichtig musizierte Gruppe Vox Luminis Bach'sche Motetten und Sinfonien, das Ensemble Baroque Atlantique hingegen enttäuschte mit seinem Bach-Programm: Sie haben unter anderem Originalwerke von Bach für ihr Ensemble bearbeitet.
Nicht jede ihrer Bearbeitungen überzeugte, zu schnelle Tempi forderten ihren Tribut und durchgängige Intonationsprobleme trübten ihre Spiel. Eine Entdeckung in zweifacher Hinsicht war das Konzert mit dem Ensemble Inégal - Prague Baroque Soloists mit Psalmen von Jan Dismas Zelenka. Diese pracht-und kunstvolle Musik hört man viel zu selten - wie gut, dass Adam Viktora, der künstlerische Leiter des Ensembles, sie sich auf die Fahnen geschrieben und mit seinen wundervollen Musikern auch auf CD veröffentlicht hat. Ein beeindruckender Schlusspunkt der diesjährigen Regensburger Tage Alter Musik.
Tenebrae Consort | Bildquelle: © Sim Canetty Clarke
Höhepunkt dieser Pfingsttage aber war das Konzert des Tenebrae Consort; auf dem Programm standen hauptsächlich Werke von Tomas Luis de Victoria. Unter der Leitung von Nigel Short, einem ehemaligem Mitglied der King's Singers, präsentierte dieses Ensemble Responsorien, Lamentationen und eine Requiem-Messe des spanischen Komponisten auf atemberaubenden Niveau. Phantastisch, wie homogen die sechs Frauenstimmen klangen, wie profund die Männerstimmen, wie differenziert alle zusammen die Texte die Worte bis in ihre kleinsten Verästelungen gestaltet haben, mit welcher Energie und dynamischen Spannbreite sie die Spannungsbögen darstellten. Ein ergreifender Abend, den man so schnell nicht vergessen wird.
Alle Mitschnitte von den TAM in Regensburg werden in der Festspielzeit auf BR-KLASSIK übertragen.
Finnish Baroque Orchestra
Freitag, 29. Juni , 18.05 Uhr
Stylus Phantasticus
Dienstag 3. Juli, 20.05 Uhr
Vox Luminis
Freitag, 6. Juli, 18.05 Uhr
Alamire & The English Cornett & Sackbut Ensemble
Montag 9. Juli, 20.05 Uhr
InAlto
Donnerstag, 12. Juli, 20.05 Uhr
Ensemble Inégal - Prague Baroque Soloists
Montag, 16. Juli, 20.05 Uhr