Krzysztof Pendereckis erste Oper "Die Teufel von Loudun" ist ein Schocker und ein Meisterwerk – heftig, kurz und spannend wie ein Thriller. Es geht um Teufelsaustreibung in einem Nonnenkloster und Tod auf dem Scheiterhaufen, das Ganze vertont in atonaler Avantgarde-Musik der 60er-Jahre. Zum Auftakt der Münchner Opernfestspiele gibt Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski dem verwöhnten Münchner Publikum ordentlich was zu beißen. Lohnt sich das? Unbedingt, sagt BR-KLASSIK-Kritiker Bernhard Neuhoff.
Bildquelle: Wilfried Hösl
Die Kritik zum Anhören
Es gibt Stücke, die schenken einem nichts und trotzdem geben sie etwas. Krysztof Penderecki, der große polnische Komponist, der später so staatstragend spätromantisch komponierte, war in den 60er-Jahren als junger Wilder durchgestartet. Seine Oper "Die Teufel von Loudun", uraufgeführt 1969, ist von einer wütenden Energie erfüllt, die sich absolut frisch gehalten hat. Es sirrt und reibt, gurgelt und grummelt. Schlagzeug-Attacken brechen aus dem Hinterhalt, irisierende Streicherflächen schieben sich unter die Haut. Kein Wunder, dass die Musik des jungen Penderecki oft in Filmen eingesetzt wurde – immer, wenn‘s unheimlich wird, Gefahr droht oder der Verstand aussetzt. Ganz egal, ob man das genießt oder schrecklich findet oder beides zugleich – entziehen kann sich dem niemand.
Erzählt wird eine wahre Geschichte aus dem Jahr 1634. Der charismatische Grandier ist Pfarrer und Frauenheld, ein Liberaler, der das Leben mit allen Sinnen genießt. Jeanne, die Vorsteherin eines Nonnenklosters, verliebt sich in ihn. Und weil sie ohne Chance ist, steigert sie sich in ihrer sexuellen Frustration in einen religiösen Wahn hinein. Sie bezichtigt Grandier, dass er als Hexer im Kloster teuflische Unzucht treibt.
Es folgen Szenen der Besessenheit, exorzistische Rituale und: Politik. Der König benutzt den kollektiven Fanatismus für seine Propaganda und lässt Grandier verbrennen. In dieser düsteren Welt gibt es keine Liebe und nur einen einzigen Trost, wenn’s einer ist: Grandier, das Opfer, bleibt sich treu bis zum Schluss. Trotz Folter weigert er sich, seine vermeintliche Schuld zu gestehen. Er stirbt ohne Hoffnung, aber für die Wahrheit.
Die Premiere der Oper "Die Teufel von Loudun" an der Bayerischen Staatsoper gibt es bei uns zum Nachschauen, Hier finden Sie den Link zu BR-KLASSIK Concert.
Pendereckis Oper "Die Teufel von Loudun" an der Bayerischen Staatsoper – Szenenfoto | Bildquelle: Wilfried Hösl Regisseur Simon Stone liebt die Drehbühne. Und er ist ziemlich versiert darin, Geschichten darauf buchstäblich ins Laufen zu bringen. Die Handlung verlegt er in die Gegenwart. Eine kalte, brutalistische Beton-Kirche beherrscht die Bühne. Stone inszeniert effizient, klar und zurückhaltend. Was genau diese Ereignisse aus dem 17. Jahrhundert nun eigentlich mit unserer Gegenwart zu tun haben – die Interpretation überlässt Stone meist dem Publikum. Nur an einer Stelle wird er konkret: Beim Ritual der Teufelsaustreibung verwandeln sich die Nonnen in Aktivistinnen, die auf ihren Körper feministische Parolen schreiben. Noch immer, sagt Stone, beanspruchen religiöse Fundamentalisten Macht über den weiblichen Körper. Doch das bleibt die Ausnahme. Ansonsten vertraut der Regisseur darauf, dass diese grausame Parabel für sich spricht. Ein wenig unverbindlich, aber stimmig erzählt.
BR-KLASSIK-Opernredakteur Volkmar Fischer stellt Ihnen das Werk vor. Einfach hier klicken!
Pendereckis Oper "Die Teufel von Loudun" an der Bayerischen Staatsoper – Szenenfoto | Bildquelle: Wilfried Hösl Grandios singt Ausrine Stundyte als Jeanne, eine böse und verführerische Stimme, die über gleißende Farben verfügt und enorme psychologische Energie freisetzt. Großes leistet auch Jordan Shanahan als Grandier. Er war in letzter Sekunde eingesprungen für den an Covid erkrankten Wolfgang Koch und singt aus dem Orchestergraben. Auf der Bühne wird die Hauptrolle vom Schauspieler Robert Dölle verkörpert, der auch die gesprochenen Passagen übernimmt. Ein unfreiwilliger Verfremdungseffekt, der den Abend rettet und sogar einen gewissen Reiz hat. Durchgängig erstklassig auch das übrige Ensemble, der Chor und das enorm geforderte Staatsorchester – alle ausgerichtet auf die überlegen klare und zugleich extrem leidenschaftliche Zeichensprache von Dirigent Vladimir Jurowski. Der ist das eigentliche Kraftzentrum eines fordernden und starken Abends.
Informationen über die Neuinszenierung von Pendereckis "Teufel von Loudun" – Besetzung, Termine, Hintergrund – erhalten Sie auf der Homepage der Staatsoper.
Sendung: "Allegro" am 28. Juni 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Dienstag, 05.Juli, 20:16 Uhr
Euprhrosine
fast ergreifend
Ich war sehr angetan von dem, was ich in der Premiere zu hören und zu sehen bekam, sowohl aus dem Graben wie auch auf der Bühne (allen voran, was etwas heißen will, Frau Stundyte: ihre Darstellung der seelische Extremzustände einerseits, und wie sie bspw. entschlossen dem Exorzisten an die Wäsche ging: schlicht großartig).
Also auch: Three cheers for the director... WÄRE DA NICHT der (gefühlt) 3. Teil gewesen: Warum nur gefallen sich Regisseuer*innen darin, Gewaltszenen möglichst explizit darzustellen?
Intellektuell, sprich Erkenntnisgewinn: Null.
Emotinal: entweder mitfühlen und denen in der Reihe davor über die Schulter reihern, oder sich distanzieren. Taten denn ja auch viele, die gleich nach Fall des Vorhangs munter drauflos applaudierten.
- ?????
Ich bin ratlos.
Mittwoch, 29.Juni, 20:47 Uhr
Alexander Störzel
"Der Teufel steckt in Allen"
Respekt an die Bayerische Staatsoper vor diesem Kraftakt. Schade, dass der Komponist nicht mehr am Leben ist - er hätte stehende Ovationen bekommen und hätte sich sehr gefreut über die spannende und absolut stimmige Aufführung.
Mittwoch, 29.Juni, 11:35 Uhr
Klaus Thiel
Teufel von Loudon
Der nicht so seltene Fall, dass eine Aufführung aufregender ist als das Werk, das nie so richtig neu war und inzwischen doch reichlich Patina angesetzt hat. Ich muss da immer daran denken, dass ein grässliches Penderecki -Orchesterstück erst zu Weltruhm gelangte, als der ursprüngliche Titel "8'37" durch - na, was, ersetzt wurde. Und aus dem Besetzungs-Notfall wurde dank des hervorragenden Schauspielers ein grandioser Gewinn. Ich sah die Aufführungen in Ostberlin und in Warschau, beide vorzüglich und bestens besetzt. Hier ist aber etwas ganz Neues entstanden - ein weiterer großer Abend der Bayerischen Staatsoper ! Chapeau !