Eigentlich ist es eine Kinderoper. Auf der anderen Seite erinnert Humperdincks "Hänsel und Gretel"auch an Wagners Orchesterklang. Christian Thielemann dirigiert das Stück nun an der Wiener Staatsoper. Wie wichtig es für seine eigene Laufbahn war, verrät er BR-KLASSIK im Interview.
Bildquelle: Staatskapelle Dresden / Matthias Creutziger
BR-KLASSIK: Herr Thielemann, 'Hänsel und Gretel' ist eine Oper, die viele zur Kunstform Oper verführt hat. Man könnte auch sagen: eine Einstiegsdroge. Wie war das bei Ihnen persönlich?
Christian Thielemann: Ganz genauso. Ich weiß gar nicht, wie alt ich war. Aber nach den Erzählungen meiner Eltern und meiner eigenen Erinnerung ist das in der Tat die erste Oper, die ich gehört habe.
BR-KLASSIK: Haben Sie Erinnerungen daran?
Christian Thielemann: Ja. Ich kann mich daran erinnern, dass ich die Hexe ganz gruselig fand. Ich wusste nicht so ganz genau, was da los war, aber irgendwie war es schlimm. Und das Märchen kannte man natürlich. Es sind ja diffuse Erinnerungen, wenn man so klein ist.
BR-KLASSIK: Das Interessante ist ja, dass dieses Grausame die Kinder auf der einen Seite fasziniert, und man als Erwachsener denkt, man muss sie davor beschützen. Wie deutlich darf man das zeigen, dass die Hexe schon viele Kinder aufgefressen hat?
Christian Thielemann: Naja, das ist sowieso so eine Frage. Die Hexe macht ja aus den Kindern Lebkuchen. Und die sind ja eigentlich eine sehr nette Angelegenheit, schmecken gut und so weiter. Ich glaube, als Kind wird einem gar nicht klar, wie grausam das ist. Und am Ende kommen die Kinder ja auch wieder. Sie sind 'erlöst, befreit'. Die Hexe wird komischerweise zum Lebkuchen, und die Kinder sind alle wieder frei. Ich glaube, das wiegt das dann wieder auf.
BR-KLASSIK: Interessant ist ja auch die musikalische Spannung. Auf der einen Seite sind da die Kinderlieder, auf der anderen Seite natürlich Humperdinck, der große Wagner-Jünger, der sich auch beim Orchester so einiges vom Meister abgeschaut hat.
Christian Thielemann: Das macht den Reiz des Stückes aus, dass es einerseits ganz populär und eingängig ist, fast ein bisschen naiv, und dann auf der anderen Seite einem diesen Orchesterklang unterjubelt. Ich kann mich daran erinnern: Wenn ich mir das ganz genau überlege, bin ich eigentlich durch 'Hänsel und Gretel' zu meiner großen Liebe, zu diesem romantischen Orchesterklang gekommen.
BR-KLASSIK: War diese Oper quasi der Anlass, dass Sie Ihren Beruf ergriffen haben?
Christian Thielemann: Mehr oder minder. Wahrscheinlich ist das mit ein Anschlagspunkt gewesen. Irgendwann findet man da so einen Klang einfach toll. Und ich glaube, dass ich mich sogar daran erinnern kann, dass ich mich später gewundert habe: 'Ein Männlein steht im Walde', das kennst du doch irgendwie. Ach ja, das ist ja diese Oper. Das ist wie wenn man den 'Faust' liest und dann mit einem Mal 'Das ist des Pudels Kern'; oder bei Schiller 'Ich kenne meine Pappenheimer'. Man ist oft ganz erstaunt, dass sich Dinge so verselbstständigt haben. Und das ist auch bei 'Hänsel und Gretel' so.
BR-KLASSIK: Was ist das jetzt für eine Herausforderung für Sie als Dirigent nach diesem großen Abstand und der Weltkarriere, die Sie gemacht haben, in Wien zu dirigieren. Was ist die Schwierigkeit an diesem Stück - und der Reiz?
'Hänsel und Gretel' wird nach über 70 Jahren wieder an der Wiener Staatsoper aufgeführt - unter der Leitung von Christian Thielemann. | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Christian Thielemann: Die Schwierigkeit bei dem Stück ist natürlich, dass die Wagnersche Orchesterbehandlung oder die Humperdinck-Wagnersche Orchesterbehandlung für lyrische Stimmen, die man dafür braucht, manchmal problematisch sein kann. Aber wenn Sie 'Die Meistersinger' dirigiert haben oder an den ersten Akt von 'Siegfried' denken oder an einige Passagen im 'Rheingold', dann kennt man so ein bisschen das Terrain, das man da befahren muss. Und mit den Wiener Philharmonikern ist es natürlich sowie etwas ganz Besonderes, zumal die das letzte Mal 'Hänsel und Gretel' mit Solti 1987 in einer Aufnahme gespielt haben. Von dem jetzt bestehenden Orchester sind zwei Kollegen zu mir gekommen und haben gesagt, sie hätten damals mitgespielt. Und ansonsten ist das eigentlich neu für die. Das finde ich auch völlig verrückt.
BR-KLASSIK: Das ist ja auch ein Stück, das eigentlich viel an der Volksoper gespielt wird. Gehört es auch ins Große Haus, in die Wiener Staatsoper?
Christian Thielemann: Ja klar. Es war übrigens auch bis Kriegsende dort. Zum letzten Mal wurde es 1944 in der Staatsoper gespielt. Dann wurden die Theater im Krieg geschlossen. Und aus unerfindlichen Gründen hat man nach dem Krieg 'Hänsel und Gretel' nicht mehr hier an das Haus geholt. Nun wurde es höchste Zeit.
Engelbert Humperdinck: "Hänsel und Gretel"
an der Wiener Staatsoper
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Regie: Adrian Noble
Premiere: 19. November 2015
Alle weiteren Aufführungstermine finden Sie hier.
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