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Till Brönner zum Kultur-Lockdown "Ich bin stinksauer"

Der Jazztrompeter Till Brönner sorgte in den letzten Tagen für Wirbel – mit einem Video in den sozialen Netzwerken. Er machte seiner Wut Luft, wie die Staatsregierung in der Corona-Krise mit der Kulturbranche umgeht. Im Interview mit BR-KLASSIK erklärte er, was ihn stört und was man ändern müsste.

Trompeter Till Brönner | Bildquelle: © Sony Masterworks

Bildquelle: © Sony Masterworks

BR-KLASSIK: Till Brönner, letzte Woche haben Sie ein Video in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Darin sagen Sie, dass Sie wütend sind. Was macht Sie denn so wütend an dieser aktuellen Situation?

Till Brönner: Ich bin stinksauer darüber, dass ich seit Februar – sowie eine wahnsinnig große Branche – mit ansehen muss, wie sich die Regierung Deutschlands, die Regierung einer Kulturnationen, offenbar überhaupt keine Gedanken über die Lebens- und Berufswirklichkeit von Künstlern macht. Zugleich ist sie der Meinung, dass Künstler wahrscheinlich ein ganzes Jahr und länger ihre Arbeit komplett niederlegen sollen, zum Schutze der Allgemeinheit. Erst haben alle Künstler abgewartet, ob sich da vielleicht mit einer leichten Verzögerung noch was einstellt. Dann aber hat sich gezeigt, dass dem nicht so ist, und letztlich hat sich Verzweiflung breit gemacht. Und da müssen wir jetzt aufstehen. Mich wundert, dass das nicht vorher schon jemand prominent getan hat.

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Zur Lage. | Bildquelle: Till Brönner (via YouTube)

Zur Lage.

Corona-Soforthilfe: Solo-Selbstständige müssen bezugsberechtigt sein!

BR-KLASSIK: Was wären denn Lösungen? Was könnte man konkret machen?

Till Brönner: Zunächst ist es ja so, dass bereits Hilfen zur Verfügung gestellt wurden. Wir sprechen also nicht über Gelder, die erst von irgendwoher genommen werden müssen, sondern große Hilfen sind ja bereits genehmigt worden. Nur konnten sie nicht abgerufen werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Kriterien für die Betroffenen dahingehend geändert werden, dass sie auch bezugsberechtigt sind. Das heißt, diese Gelder müssen auch für Solo-Selbstständige gelten, die nun mal Lebenshaltungskosten haben. Denn bis dato sind die nur für Betriebskosten vorgesehen. Diese haben die meisten Künstler aber überhaupt nicht. Und deswegen werden die Gelder nicht abgerufen. Dadurch entsteht vielleicht der Eindruck, man ziere sich, diese Gelder anzunehmen. Dabei ist das komplette Gegenteil der Fall.

BR-KLASSIK: Was würden Sie den einzelnen Musikerinnen und Musikern jetzt raten? Was sollen die tun – im Monat November?

Till Brönner: Zunächst wurde uns ja in Aussicht gestellt, dass wir den monatlichen Vorjahresdurchschnitt auf den kommenden Monaten November in Höhe von 75 Prozent bekommen sollen. Da müssen wir natürlich abwarten, ob das auch passiert. Wir haben ja schließlich seit Februar keine Zahlungen bekommen. Ich sage immer "wir" – ich selbst komme sicherlich gut durch die Pandemie – aber ich spreche von einer Szene, die ich sehr gut kenne, weil ich mit all den Leuten arbeite. Und wir sind sehr viele. Und da sind Familien involviert. Und das ist eine Gruppe von Menschen, die sehr viel Geld in die Kassen des Staates gespült hat. Und jetzt lässt der Staat sie hängen. Das kann ich nicht mit ansehen.

Die Kulturszene darf nicht der Freizeitwirtschaft zugeschrieben werden.
Till Brönner

BR-KLASSIK: Sie treten jetzt als Person in den Dialog mit der Politik. Gestern Abend waren Sie zu Gast in der Fernsehsendung bei Anne Will. Wie geht es Ihnen da, wenn Kultur und Spaßbäder in einem Atemzug genannt werden?

Till Brönner: Ich finde es wichtig zu sehen, wie öffentlich eine Regierung unsere Szene und unseren Auftrag als Freizeitwirtschaft betrachtet. Das gestern war auch ein Schauspiel, das beweist, wovon ich spreche und worüber wir uns zurecht aufregen. Das kann doch nicht wahr sein, dass ein Bereich wie die Kulturszene nicht der Bildung zugeschrieben wird, sondern Freizeitwirtschaft. Mir fehlt da wirklich jedes Verständnis.

Radio-Tipp

Lockdown Nr. 2 im Festivalmonat November: Stimmen aus der Jazzszene zur aktuellen Lage von Saxofonistin Silke Eberhard, Pianist André Schwager und Trompeter Till Brönner — am 2. November um 23:05 Uhr in einer Sonderausgabe der "Jazztime" auf BR-KLASSIK.

Stille – ein starkes Signal

BR-KLASSIK: Im November sind in Deutschland relativ viele Jazzfestivals und Veranstaltungen geplant. Was würden Sie den Veranstaltern und Festival-Organisatoren raten? Sollen sie versuchen, irgendwas auf die Beine zu stellen, damit was stattfindet? Oder ist vielleicht auch Stille in diesem Moment eine Lösung?

Till Brönner: Es gibt derzeit kein brauchbares Konzept, mit dem Geld zu verdienen ist oder wirtschaftlich gearbeitet werden kann. Ich spreche da noch nicht mal über viele Einnahmen, sondern einfach nur über die Durchführbarkeit. Und die ist in der Mehrzahl der Fälle nicht gegeben. Insofern kann man einem ohnehin angeschlagenen Veranstalter nicht dazu raten. Ich halte diesen Vorschlag Stille zu verbreiten, für hervorragend. Heute Abend findet tatsächlich eine bundesweite Aktion von großen Orchestern wie den Münchner Philharmonikern statt: #sangundklanglos. Um 20 Uhr sind alle Künstler auf der Bühne und machen 20 Minuten lang überhaupt nichts. Und das ist sicherlich eines der wichtigsten Signale, die ich seit seit langem gesehen habe.

BR-KLASSIK: Kann das aber auch falsch verstanden werden? Dass man sagt, jetzt herrscht Stille und vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wenn wir die Musiknacht gar nicht haben oder gar nicht mehr brauchen?

Till Brönner: Aus meiner Sicht ist das keine Gefahr. Mich hat vielmehr genervt, dass so viele Künstler quasi ab Tag eins der Pandemie reflexartig ihre Musik kostenlos ins Netz gestellt haben. Mir ist bis heute kein Zahnarzt bekannt, der vor seiner Praxis ein Schild aufgestellt hätte: "Heute kostenlose Zahnreinigung." Also der Unternehmer im Künstler, der muss schon auch noch am Leben bleiben.

Im Publikum werden Freudentränen fließen.
Till Brönner

BR-KLASSIK: Wie geht es Ihnen ganz persönlich? Haben Sie Angst vor dieser Pandemie oder vor dem, was kommt? Was beschäftigt Sie?

Till Brönner: Ich möchte kein Corona kriegen – und das teile ich mit sehr, sehr viele Menschen in Deutschland. Das ist keine Erfindung. Das ist wirklich eine Krankheit, die es gilt, zu analysieren und zu verhindern. Ich brauche meine Lungen und Atemwege. Für mich wäre es sicherlich das Allerletzte, was ich auch noch durchmachen möchte. Insofern habe ich Verständnis für jede Sicherheitsmaßnahme. Aber ich ich habe keine Angst, dass die Musik in Zukunft an Kraft verliert. Im Gegenteil. Ich glaube, dass sich hinter verschlossenen Türen gerade sehr viel Gedanken gemacht und Emotionen freigesetzt werden. Wir werden es sehen: In dem Augenblick, wo Konzerte wieder erlebbar sind, werden – so meine vorsichtige Vorhersage – im Publikum eine Menge Freudentränen fließen.

Sendung: Leporello, am 2. November 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (3)

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Samstag, 14.November, 15:22 Uhr

Birgit von Lüpke

Novemberhilfe für Kulturschaffende

ich bin selbst Musikerin und habe heute wieder einmal festgestellt, dass die großangekündigte Novemberhilfe an meiner Lebensrealität und der vieler Kolleg*innen vorbeigeht. Viele Künstler*innen stehen auf mehreren unternehmerischen Beinen. Konzerte, Engagements für Tagungen/Feiern u.a. und dann Unterricht. Ich bin froh, dass ich aktuell unter Berücksichtigung eines Hygienekonzeptes unterrichten kann. Allerdings falle ich dadurch durch das Raster, denn 80 % meiner Einnahmen müssen aus meiner Arbeit als Musikerin stammen. Seit März sind diese Einnahmen weg. Die Absagen reichen bis zum Mai nächsten Jahres. Alleine vom Unterrichten kann ich nicht leben und das wird einem Großteil meiner Kolleg*innen so gehen. Und ja, ich freue mich schon auf die Freudentränen, wenn wir endlich wieder tun dürfen, was wir lieben und wofür wir brennen.

Freitag, 06.November, 11:29 Uhr

Frank Wüchner

Ich kann die Wut der Kulturschaffenden verstehen, die sich mit viel Leidenschaft, Engagement und Hygiene-Konzepten gegen die Krise gestemmt haben. Wenn dann trotzdem wieder das Verbot der wichtigsten Aktivitäten kommt, muss das alleine schon sehr frustrierend sein, zusammen mit dem Wegfall der wirtschaftlichen Existenzgrundlage sogar erschreckend. Hier müssen Kompensationszahlungen auch tatsächlich erreichbar sein.
Trotzdem bin ich nicht der Meinung, dass im Hinblick auf die aktuellen Maßnahmen die Kulturszene nicht in die Kategorie Freizeitwirtschaft fallen darf. Zum Einen könnte der Rest der "Freizeitwirtschaft" einwenden, warum er denn schlechter gestellt sein sollte als die "Hochkultur" - auch in einer Bar findet wichtiger gesellschaftlicher Austausch statt. Zum Anderen muss man im aktuellen Lockdown bei "Bildung" auch mitdenken, dass Schulen und Kitas u.a. offen gehalten werden sollen, um den Eltern ein weiterarbeiten (z.B. im Krankenhaus) zu ermöglichen.

Dienstag, 03.November, 15:10 Uhr

JUTTA REICHELT

Till Brönner

Bitte:
es gibt eine große Bereitschaft,die z.Zt.blockierten Kulturschaffenden zu unterstützen.
BITTE RICHTET SPENDENFONDS KULTUR EIN...oder häufiger aufs Konto der Orchesterstiftung verweisen.(vereinfachter Zugang)
Nicht nur der Staat,auch die Nutznießer der Kultur sind gefragt.Wir brauchen jetzt gelebte Solidarität.

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