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Vorwürfe gegen Tiroler Festspiele Erl Raum für Kunst oder Ort der Qual?

Das Traditionsfestival und sein Leiter Gustav Kuhn werden durch einen österreichischen Journalisten und Blogger mit Vorwürfen von Ausbeutung, Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen konfrontiert. Unser Autor Jörn Florian Fuchs besucht Erl seit Langem und hat auch die Probenphasen in Italien miterlebt.

Eine Teilansicht der charakteristisch-asymmetrisch gestalteten Fassade des neuen Festspielhaus Erl. | Bildquelle: ©ROBERT PARIGGER, picture alliance/APA/picturedesk.com

Bildquelle: ©ROBERT PARIGGER, picture alliance/APA/picturedesk.com

Fährt man mit dem Auto von München in Richtung Italien, kommt man, sofern kein Stau ist, nach etwa einer Stunde an Erl vorbei. Nicht alle Navigationsgeräte zeigen das Dörfchen mit rund 1.500 Einwohnern an. Dabei ist Erl weltweit einmalig, denn es besitzt neben einer niedlichen kleinen Kirche, urigen Gasthäusern und reichlich Weidevieh etwas ganz Besonderes: gleich zwei Festspielhäuser.

Alles auf eine Karte

Eines ist ganz weiß, mit organisch geschwungenen Wänden. Dort spielen die Einheimischen alle paar Jahre die Passion Christi. 1998 kam der bekannte Dirigent Gustav Kuhn auf die Idee, hier wegen der tollen Akustik Wagner-Opern aufzuführen. Die Tiroler Festspiele waren geboren. Kuhn gefielen Ort und Atmosphäre so gut, dass er aus dem internationalen Kulturbetrieb ausstieg und alles auf die Karte Erl setzte – finanziell und persönlich.

In einem Kloster in der Toskana gründete er eine Akademie für Sänger und Musiker, dort lebt, arbeitet und feiert man zusammen. Es ist ein künstlerisches Arkadien, das Gustav Kuhn als Gegenpol zum kommerziellen Kulturbetrieb verstanden wissen will. Freiräume schaffen, in Ruhe studieren und proben, das war die Ursprungsidee. Groteskerweise lauten einige der nun geäußerten Vorwürfe: Druck, Hektik, schlechte Arbeitsbedingungen.

Dem Festival in Tirol gelang es aber, zum Sprungbrett für Nachwuchskräften zu werden, die es teilweise bis ganz nach oben geschafft haben. Mitwirkende der Festspiele erzählen von hoher Anspannung, auch weil oft erst am Abend einer Vorstellung festgelegt wird, wer singen darf.

Auf einer Höhe mit Bayreuth

Prominenz bei der Eröffnung der Tiroler Festspiele 2016: Dirigent Gustav Kuhn, Landesrätin Beate Pfalrader, Unternehmer und Mäzen Hans Peter Haselsteiner, Landeshauptmann Guenther Platter und ORF-General Alexander Wrabetz | Bildquelle: ©Roland Mühlanger, picture alliance/APA/picturedesk.com Prominenz bei der Eröffnung der Tiroler Festspiele 2016 | Bildquelle: ©Roland Mühlanger, picture alliance/APA/picturedesk.com Ihre Feuertaufe absolvieren die Nachwuchskünstler der Accademia di Montegral traditionell auf der großen Erler Bühne. Familiär ging und geht es da zu, auch mal ruppig. Musiker beschreiben Gustav Kuhn als eine Mischung aus gütigem Patriarch und bisweilen lautstarkem Grantler, wenn ihm etwas nicht passt. Das Festival wurde über die Jahre immens erfolgreich, man spielte Mozart, Verdi, Rossini, große Symphonik – wobei Wagner Kernrepertoire ist und sich dabei durchaus mit Bayreuth messen kann. Der Regiestil (Kuhn inszeniert selbst) ist eher zurückhaltend minimalistisch, musikalisch setzt Kuhn sowohl auf Ausgewogenheit wie großen Gefühlsrausch, beides wohl temperiert.

Vor einiger Zeit tauchte der Wirtschaftsboss und Mäzen Hans Peter Haselsteiner in Erl auf. Dem gefielen die Festspiele so gut, dass er Kuhn ein zweites Haus baute. Es wurde 2012 eröffnet und fügt sich wie ein schwarzer, flugzeugförmiger Kristall gut in die Landschaft ein. Seitdem gibt es Festspiele sommers wie winters, die Kartenpreise zogen an, die Atmosphäre ist mittlerweile weniger familiär, dafür nutzt Haselsteiner Erl auch als Prestigeobjekt für Geschäftsempfänge, er ist übrigens mittlerweile Festspielpräsident. Eines jedoch blieb all die Jahre gleich: die geringen Gagen, die unregelmäßigen, oft sehr langen Probenzeiten – und die Launen des Chefs.

Ein Blogger gegen die Festspiele

Jetzt hat der österreichische Blogger Markus Wilhelm eine Reihe anonymer Quellen veröffentlicht, die Rede ist von unzumutbaren Bedingungen, vor allem für die teilweise aus osteuropäischen Ländern stammenden Orchestermusiker. Der Vorsitzende des Vereins "art but fair", Johannes Schatz, bekräftigte im Gespräch mit BR-Klassik die Vorwürfe und erklärte, man habe selbst umfangreiches Material und inzwischen auch Anzeige erstattet. Der Verein kümmert sich seit seiner Gründung 2013 um die Arbeitsbedingungen von Kulturschaffenden. Erl sei ein besonders gravierendes Beispiel für Ausbeutung, so Schatz. Leider habe sich bisher aber niemand aus der Deckung gewagt, die Künstlerinnen und Künstler wollten anonym bleiben, dies werde sich hoffentlich bald ändern.

Ausbeutung und sexueller Missbrauch?

Inzwischen geht es auch um Anschuldigungen sexuellen Missbrauchs gegenüber Gustav Kuhn. Der äußerte sich bisher nicht, Nachfragen blieben unbeantwortet. Die Festspiele ihrerseits haben den Blogger verklagt, Streitwert 60.000 Euro. Nun muss es vor allem um die rasche Aufklärung der Vorwürfe gehen.

Thema in der Sendung "Leporello" am 21. Februar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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