BR-KLASSIK

Durch ihn wurde die chromatische Mundharmonika zu einem anerkannten Instrument im Jazz. Wie kein anderer wusste Toots Thielemans damit Melancholie und Heiterkeit in Einem auszudrücken. Nun ist der belgische Musiker im Alter von 94 Jahren gestorben.

An dem Ort zwischen einem Lächeln und einer Träne, da fühle er sich Zuhause, schrieb Toots Thielemans auf seiner Website. Quincy Jones, mit dem er seit den frühen 60er Jahren immer wieder zusammengearbeitet hat, meinte, er sei einer der besten Jazzmusiker der Welt, sein Spiel gehe ans Herz und rühre ihn zu Tränen. Seine Zuhörer so bewegen konnte der freundliche und lebensbejahende Musiker, der am 29. April 1922 in Brüssel zur Welt gekommen ist, wie kein anderer.

Ein grosses Talent von früh an

Das erste Instrument begann Thielemans schon mit drei Jahren zu spielen. Dem Akkordeon folgte die Harmonika auf dem Fuße, dann kam noch die Gitarre hinzu - fast zufällig, weil er sie bei einer Wette gewonnen hatte. Wie alle seine Instrumente lernte er sie im Selbststudium. Und konnte auch herrliche Melodien zu seinem Spiel pfeifen - wie auf seinem Album "The Whistler" von 1964 belegt ist. Während Belgien von den Deutschen besetzt war, erwachte seine Liebe zum von den Besatzern verbotenen Jazz. Aufnahmen des Gitarristen Django Reinhardt und der Bebop von Charlie Parker begeisterten ihn. Ab 1944 trat er nach der Befreiung Belgiens in amerikanischen Clubs auf, später auch in Deutschland. Und der junge Mann, der auf den Namen Jean-Baptiste Frédéric Isidor Thielemans getauft war, gab sich einen neuen Vornamen, unter dem er berühmt werden sollte: Toots.

Der internationale Start

Schon 1947 reiste Toots Thielemans das erste Mal in die USA. Später lebte er auch lange Zeit dort. Bei einem Festival in Paris jammte er Ende der 40er Jahre mit Sidney Bechet, Charlie Parker und Miles Davis. Doch der erste Amerikaner, der ihn für eine Tournee engagierte, war der König des Swing: Benny Goodman. Mit ihm arbeitete Toots Thielemans in den kommenden Jahrzehnten immer wieder zusammen - wie mit vielen anderen internationalen  Jazz- und Popstars: Ella Fitzgerald, George Shearing, Oscar Peterson, Bill Evans, Joe Pass, Jaco Pastorius, Pat Metheny, Billy Joel, Paul Simon und Stevie Wonder zählen. Anfang der 60er Jahre holte ihn Quincy Jones in sein Orchester. Auch mit ihm begann ein stetiger musikalischer Austausch und eine lebenslange Freundschaft.

Der Jazz im Walzertakt

Die chromatische Mundharmonika war zu Toots Thielemans Hauptinstrument geworden, ihr singender, leicht klagender Klang zu seinem Markenzeichen. 1962 komponierte er sein berühmtestes Stück, das die Heiterkeit einer Musette und die Traurigkeit eines Blues miteinander verband. "Bluesette" im swingenden Dreivierteltakt wurde zum Jazzklassiker.

Ein filmischer Sound

Und für Regisseure weltweit wurde Toots Thielemans' chromatische Mundharmonika zum idealen Sound ihrer Filmmelodien. Zu hören ist er unter anderem  in "Midnight Cowboy", "The Getaway" und "Sugarland Express". Seinen möglicherweise größten Ruhm im Metier der Filmmusik brachte ihm aber ein Auftrag des Fernsehens: Er spielte das Titelstück der "Sesamstraße".

Eine lange Karriere und viele Würdigungen

Bis vor zwei Jahren trat Toots Thielemans noch regelmäßig auf.  In La Hulpe, seinem Alterswohnsitz nahe Brüssel, wurde ein Jazzfestival ins Leben gerufen, das seinen Namen trägt. 2009 wurde er mit dem Amsterdam Concertgebouw Jazz Award ausgezeichnet und mit der höchsten Würdigung, die in den USA an Jazzmusiker vergeben wird: mit dem National Endowment of the Arts Jazz Master. Diese Preise konnte er schon als "Baron" entgegennehmen. König Albert II hatte ihm 2001 den Adelstitel verliehen. Ja, manchmal ergeht das großen Jazzmusikern so. Auch sein Freund, der Pianist George Shearing, in dessen Quintett er sechs Jahre lang gespielt hat, wurde einst von der Queen zum "Sir" geadelt.  Eine schöne Dreingabe und große Ehre für einen Musiker, dessen Fans weltweit nun wehmütig Adieu sagen müssen.