Cembalist, Organist, Dirigent: Trevor Pinnock zählt zu den wichtigsten Vertretern der historischen Aufführungspraxis. Berühmt wurde er als Gründer und langjähriger Leiter des Originalklangensembles "The English Concert". Die ``reine Lehre´´ ist allerdings nicht seins. Längst dirigiert der Brite auch moderne Klangkörper. Sein Credo lautet nicht Authentizität, sondern Lebendigkeit. Am 16. Dezember wird er 75 Jahre alt.
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Trevor Pinnock twittert nicht. Er züchtet keine Wölfe. Er klettert nicht. Und hat nie in einer Punkband gespielt. Trevor Pinnock trägt keine Totenkopfringe an den Fingern. Und seine eigene Schmucklinie steht auch noch aus. Kochen vielleicht? – Auch nicht. Seine Hobbys sind Spazierengehen und ein bisschen Lesen. Wird also nichts mit einem anekdotischen Einstieg in dieses Porträt. Trevor Pinnock macht einfach Musik.
Pinnock zählt zu den Größen – nein, den Größten der Originalklangszene. Geboren in Canterbury singt er schon als Siebenjähriger im Chor der berühmten Kathedrale. Außerdem lernt er Orgelspielen. Und sitzt am Cembalo. Bis heute das Instrument, das er am besten beherrsche, sagt er. Klingt auch so.
Die Herausforderung gelingt. "The English Concert" zählt bald zu den weltbesten Originalklangensembles. In jedem Fall ist es eines der hungrigsten. Fast alles von Bach und Händel nimmt die Gruppe in den Folgejahren auf. Viel auch von Vivaldi oder Purcell. Und die Sinfonien von Mozart. Legendär ist der spritzige Sound: wach, wendig, windig. Ein bisschen wie Trampolinspringen
Er kenne zwei Arten von Musikern, sagt Pinnock. Die Kopfgesteuerten und die anderen, die aus dem Bauch heraus Musik machten. Dazu zähle er sich selbst.
Musik ist für mich Bauchsache!
Dazu passt, dass Pinnock immer wieder betont, dass ihn Authentizität wenig interessiere. Lebendigkeit – das ist für ihn der Schlüssel zur historischen Aufführungspraxis. Und zum Musikmachen generell. Denn längst ist Pinnock nicht mehr nur historisch unterwegs. Sogar an den modernen Flügel hat er sich mal gesetzt, um den Geiger Maxim Vengerov zu begleiten. Leider nur im Konzert. Aufnahmen davon gibt’s nicht.
Dafür umso mehr von seiner Arbeit als Dirigent: Auch hier ist Pinnock mittlerweile in der Topliga angekommen. Das Concertgebouw Orchester bestellt ihn regelmäßig ans Pult. Er selbst steht jedoch vor allem auf die schlanken und experimentierfreudigen Ensembles. Die Kammerphilharmonie Bremen zum Beispiel. Oder die Kammerakademie Potsdam. Ein echtes Highlight ist auch seine Mahleraufnahme mit den Solisten der Royal Academy. Symphonik im Kammerformat: strahlend klar und fließend.
Der Originalklangspezialist ist also eigentlich ein Vielseitiger. Kein Wunder, dass da keine Zeit bleibt für Wölfe. Oder Klettern. Sowieso ein Wunder, wie er das alles unter einen Hut bekommt: Spielen, Dirigieren, und dazu noch das Unterrichten, unter anderem an der renommierten Juilliard in New York. Die Lösung sei Frühaufstehen, verrät Pinnock in einem Videoclip der Deutschen Grammophon, und grinst.
In letzter Zeit hat er das vor allem getan, um einen Komponisten zu studieren: Johann Sebastian Bach. 2020 hat Pinnock das Wohltemperierte Klavier eingespielt, zum ersten Mal, obwohl er mit den Präludien und Fugen seit Kindestagen vertraut ist. Bach – das sei inzwischen zu seinem Morgenritual geworden, erzählt er. Zwischen den Segelohren entfaltet sich ein breites Lächeln. Dazu kommen die blitzenden, hellwachen Augen. Auch mit 75 ist er offenbar noch da, der Siebenjährige, der gerade diese eine Sache für sich entdeckt hat.
Sendung: "Allegro" am 16. Dezember 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK