Originalklang ist sein Leben. Ton Koopman schwört auf alte Instrumente, historische Aufführungspraxis und das Studium der Epochen. Er ist also genau der Richtige, um sich gängigen Klischees und Vorurteilen über die Alte Musik zu stellen. Eine Konfrontation ohne Streit.
Bildquelle: ©picture alliance/dpa-Zentralbild
Gefühlte 50 Grad Sommerhitze sind für Ton Koopmann genau die richtige Temperatur, um mit BR-KLASSIK über Originalklang zu sprechen. Er ist ein vielbeschäftigter Mann: emeritierter Professor für historisch informierte Aufführungspraxis, Präsident der Internationalen Dieterich-Buxtehude-Gesellschaft und des Bach-Archivs Leipzig. Er leitet das Amsterdam Baroque Orchestra, tritt als Organist und Cembalist auf – trotzdem: Gestresst wird man ihn nicht erleben. So ist er gut gelaunt und zugewandt, als er auf dem Weg von Amsterdam nach Iffeldorf, wo er am Wochenende auftritt, beim Bayerischen Rundfunk vorbeischaut.
Cembalo oder Orgel?
Wenn ich Orgel spiele, finde ich Cembalo viel schöner – und umgekehrt.
Bach oder Buxtehude?
Bach
Kantate oder Motette?
Kantate
Fetzige Matthäus-Passion mir romantischem Orchester oder langsame Johannes-Passion mit Originalklang-Ensemble?
Keines davon. Hauptsache, es ist eine musikalische Fassung.
Ein Tag ohne Bach oder ein Tag mit Techno-Musik?
Dann doch besser ein Tag ohne Bach.
Die letzte Antwort mag man ihm gar nicht abnehmen. Ehrlicherweise gibt Koopmann dann auch lachend zu: "Ein Tag ohne Bach – das ist nix". Für ihn ist Originalklang das Nonplusultra. Und auch als er von BR-KLASSIK mit Klischees und Vorurteilen über die historische Aufführungspraxis konfrontiert wird, bleibt er guter Stimmung und kontert engagiert.
Dass Originalklang immer ein bisschen schief daher kommt und Darmsaiten immer ein wenig kratzen, sieht Ton Koopman überhaupt nicht:
"Das war vielleicht in den 1950er-Jahren so. Aber heute stimmt das nicht mehr. Die Qualität der guten Barockinterpreten ist unglaublich hoch. Alfred Brendel zum Beispiel war kein Freund der Alten Musik, aber er hat gesagt: Die besten Barockorchester sind genauso gut wie die berühmten modernen Symphonieorchester. Nur sieht man manchmal, dass sie mit mehr Freude Musik machen."
Auch die Behauptung, die Originalklängler seien zerstritten, weil es praktisch in jeder Stadt eine eigene historische Aufführungspraxis gäbe, wird sofort widerlegt:
"Auch das ist nicht wahr. Es gibt leider in der historischen Aufführungspraxis zu viel Esperanto: Man stellt Musiker aus der ganzen Welt zusammen. Daraus ergibt sich aber bestenfalls eine akzeptable Barockauffassung. Als Dirigent und Leiter muss man das dann natürlich in seine Richtung umformen."
Eigentlich sind die Originalklangmusiker verkappte Jazzer: Sie können nur Generalbass lesen, aber sonst keine Noten. Deshalb beschäftigen sie sich den ganzen Tag nur mit Improvisieren. Oder, Herr Koopman?
Bildquelle: ©picture-alliance/ dpa "Wenn das so wäre, wäre das toll! Mein Vater war ein Jazzmusiker. Ich habe zu Hause viel Jazz miterlebt, bin aber kein Jazz-Liebhaber. Aber meine jüngste Tochter singt Jazz und kann sehr gut improvisieren. Es gibt leider viel zu wenige gute Continuo-Spieler. Man braucht dazu eine gute Basis. Man muss sich mit Harmonielehre auskennen und mit dem Stil. Was passiert im 17. Jahrhundert bei Monteverdi? Was bei Bach? Das sind ganz andere Welten, die man auch als eigene Welten lassen muss. Man muss das alles studiert haben, wenn man Alte Musik macht. Aber wenn man sie spielt, dann darf das Publikum das nicht hören."
Und damit macht sich Ton Koopman auf den Weg, weiter zu den Iffeldorfer Meisterkonzerten. Dort warten am 29. Juni der Bassbariton Klaus Mertens, das Lassus-Consort und der Lassus-Kammerchor auf ihn. Auf dem Programm des Konzerts? Natürlich: Bach.
Sendung: "Leporello" am 27. Juni 2019 ab 16:05 auf BR-KLASSIK