Vor fast einem Jahr hat Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen. Seitdem schauen viele Opernhäuser und Veranstalter ganz genau hin, wenn sie russische Künstlerinnen und Künstler engagieren. Auch an der Deutschen Oper Berlin treten Künstler aus Russland auf. Denn entscheidend ist die persönliche Haltung.
Bildquelle: picture alliance / POP-EYE | POP-EYE/Christian Behring
Andrei Danilov singt an der Deutschen Oper Berlin. Der junge Russe stammt aus Irkutsk in Sibirien. Kurz nach Kriegsbeginn im März ist er bei der großen Solidaritäts-Gala für die Ukraine aufgetreten – als Russe. "Es spielt keine Rolle, ob ich Russe oder Ukrainer bin", erklärt er. Danilov ist mit einer Ukrainerin verheiratet. "Das, was jetzt in der Ukraine passiert, kann man nicht ignorieren. Das ist nicht in Ordnung." Seine Frau habe einige Monate nur geweint, erzählt er. Ihre ganze Familie lebe in Charkiw. Seine Eltern wohnten weit entfernt in Sibirien. "Auch sie wissen, dass dieser Krieg nicht rechtens ist", sagt Danilov. Er formuliert vorsichtig, um seine Familie in Russland zu schützen.
Danilov selbst hat nie Ressentiments gegen sich gespürt, weil er Russe ist: "Der Intendant und alle verstehen, dass die russische Politik nicht meine Politik ist. Sie sind der Ansicht, ich sei ein guter Sänger und ein guter Schauspieler. Ich soll bleiben." Hier würde ihm niemand das Singen verbieten. Andere Beispiele wie etwa Anna Netrebko, Valery Gergiev oder Teodor Currentzis und sein Ensemble MusicAeterna haben gezeigt, dass russische Künstlerinnen und Künstler sich klar gegen Putins Politik positionieren müssen, wenn sie weiterhin problemlos außerhalb Russlands auftreten wollen. In der Ukraine selbst wird russische Kultur auf der Bühne zur Zeit nicht geduldet. Dieses Verbot betrübt Danilov sehr. Er ist dankbar, dass dies in Deutschland nicht passiert. "Ich verstehe nicht, warum man die russische Kultur cancelt. Kultur hat nichts mit Krieg zu tun. Es sind Menschen ohne Kultur, die diesen Krieg begonnen haben."
Kultur hat nichts mit Krieg zu tun.
Jörg Königsdorf, Chefdramaturg an der Deutschen Oper Berlin, verrät, dass in der nächsten Spielzeit eine Premiere mit Musik von Peter Tschaikowsky stattfinden wird. Für ihn ist das Verbot russischer Kultur in der Ukraine schwierig. "Ich persönlich finde so etwas falsch", sagt Königsdorf, räumt aber gleichzeitig ein: "Wer bin ich, es den Ukrainern vorzuschreiben? Sie werden in einer instinktiven Abwehrreaktion das, was sie als feindlich empfinden, in diesem Moment vielleicht über Bord – auch Dinge, von denen sie später wieder merken, dass sie eben doch zu ihrer eigenen Identität gehören."
Der russische Regisseur Vasily Barkhatov hat die jüngste Premiere inszeniert, Verdis "Simon Boccanegra". Es gab keine Probleme im Haus. Im vergangenen Jahr hatte der große ukrainische Schriftsteller Serhej Zhadan das Libretto für eine Uraufführung an der Deutschen Oper Berlin geschrieben: "Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr." Würde Jörg Königsdorf auch einen Russen um so etwas bitten? "Tatsächlich würden wir, wenn es nach mir ginge, auch russische Künstlerinnen und Künstler einladen. Denn ich glaube, alles andere würde nur Putin in die Hände spielen." Es gebe auch in Russland viele Menschen, die das, was passiert, furchtbar finden. Man sollte sie dabei unterstützen, wenn sie versuchten, sich hier eine neue Existenz aufzubauen. "Wenn wir das können, sollten wir uns dem nicht verschließen."
Sendung: "Allegro" am 13. Februar 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK