Im März dirigierte er an der Bayerischen Staatsoper eine umjubelte Rosenkavalier-Premiere. Und seit Beginn der Saison ist Vladimir Jurowski der neue Bayerische Generalmusikdirektor. Auch seine erste Premiere als Musikchef eines der wichtigsten Opernhäuser der Welt stieß auf große Zustimmung: Dmitrij Schostakowitschs erste Oper "Die Nase". BR-KLASSIK hält Rückschau und zieht eine erste Bilanz.
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Vladimir Jurowski tritt sein Amt als Bayerischer GMD an
Sein Amt als Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper liebt Vladimir Jurowski, aber seinen Titel mag er gar nicht: "Ich finde, Generalmusikdirektor ist eine schreckliche Bezeichnung. Sie bringt die Musik dem Militärwesen nahe. Das Wort General erinnert vor allem an die Kriegsgeneräle. Und nichts liegt mir ferner als die Kriegsmaschinerie. Das Wort Direktor klingt wiederum eher beamtenhaft, und ich weiß nicht, wie man über Musik als Direktor vorstehen kann."
Die Abkürzung GMD würde ich für mich lieber umdeuten: G für Geburtshilfe, M immer noch für Musik und D fürs dienen.
Dienen – das klingt immer gut, Demut macht sympathisch. Dirigenten reden gern davon – das lässt ihre offenkundige Macht gleich in milderem Licht erscheinen. Aber schließlich und endlich besteht der Dienst eines Dirigenten darin, dass er die Richtung vorgibt, Demut hin oder her. Vladimir Jurowski fehlt es denn auch nicht am nötigen Selbstbewusstsein. Und – Demut und Selbstbewusstsein, beides gehört zusammen. Bei Vladimir Jurowski ist es nicht nur Pose, wenn er vom Dienen spricht.
Auf den ersten Blick hat seine Ausstrahlung etwas Strenges. Sorgfältig zurückgekämmte Haare, ein meist ernster, wacher und offener Blick. Doch sobald man mit ihm ins Gespräch kommt über Themen, die ihn wirklich interessieren, also über Musik, Theater und Kunst, ist er humorvoll, zugänglich und vor allem unbändig neugierig. Jurowski hat einen ungewöhnlich weiten Horizont. Er mag Avantgarde und Alte Musik, kann aber auch einen wunderbar emotionalen, dabei völlig kitschfreien Rosenkavalier dirigieren. Er erzählt begeistert über Literatur und Kunst – und das wahlweise auf Russisch, Italienisch, Englisch und Deutsch. Ein paar mehr Sprachen kann er, aber diese vier spricht er fließend und idiomatisch.
Das neue Team am Nationaltheater: GMD Vladimir Jurowski, Intendant Serge Dorny und Ballett-Direktor Igor Zelensky | Bildquelle: Wilfried Hösl London, Moskau und Berlin waren seine wichtigsten Stationen. Was Oper sein kann, hat er vor allem beim großen Regisseur Harry Kupfer gelernt. Der war der langjährige Intendant an der Komischen Oper in Berlin, wo Jurowski als junger Dirigent alles aufsaugte wie ein Schwamm. Buhstürme hat er in München bislang nicht abbekommen – im Gegenteil: Die beiden Premieren dieses Jahres, Richard Strauss' "Rosenkavalier" im März und Schwostakowitschs "Nase" im Oktober, waren umjubelt. Jurowski liebt einen sinnlichen, aber schlanken und durchsichtigen Klang.
Bei aller Präzision und Raffinesse ist er keineswegs Kopfmusiker: Die Musik hat Jurowski buchstäblich mit der Muttermilch aufgesogen. Auch sein Vater Michail Jurowski ist ein berühmter Dirigent. Als der Teenager dem Vater sagte, dass er auch Dirigent werden wollte, kam die trockene Ansage: ‚Das ist ein harter Beruf. Hier ist ein Stück von Strawinsky. Komm in ein paar Tagen wieder. Wenn Du es kannst, werde ich Dir helfen. Wenn nicht, lass es sein.‘ Das Stück war ziemlich vertrackt, aber Vladimir setzte sich dran – und überzeugte den skeptischen Vater, der ihn danach absolut loyal unterstütze. Vielleicht hat er das ein Stück weit geerbt: Eine gewisse Strenge, die absolute Hingabe an die Sache fordert. Verbunden mit Begeisterungsfähigkeit und Loyalität. Keine schlechten Voraussetzungen für ein Amt mit dem schönen Titel: Generalmusikdirektor. Pardon: Geburtshelfer-Musik-Diener!
Sendung: "Allegro" am 23. Dezember 2021 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK.