Die Neugier war groß: Zum ersten Mal, seit seine Berufung bekannt gegeben wurde, steht der künftige Generalmusikdirektor am Pult des Bayerischen Staatsorchesters. Vladimir Jurowski gab zwar schon 2015 sein Debut an der Staatsoper. Doch damals wusste noch niemand, dass er mal Musikchef würde. Nun dirigiert er drei Akademiekonzerte mit Bruckners Dritter und Mozarts Sinfonia Concertante, das erste am 12. Januar.
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Kollegengespräch mit Bernhard Neuhoff
Vladimir Jurowskis Akademiekonzert
Endlich mal ein Chef, der Mozart richtig gut macht! Und das ist nun wirklich keine Selbstverständlichkeit. Gerade die teuersten Dirigenten, zumal die der älteren Generation, servieren oft immer noch einen konturlosen, unverbindlich glatten Routine-Mozart. Jurowski dagegen setzt schon den ersten Akkord der "Sinfonia Concertante" ganz bewusst: Ein kleiner Akzent, wie eine deutlich gesprochene Silbe. Und dann atmen die Phrasen, öffnen und schließen sich die Bögen, leuchtet der Klang. Durchsichtig, seidig, klar. Es ist ein Fest der Mittelstimmen. Und das Ohr darf hörend staunen: So reich ist diese Musik! So vielstimmig. So interessant im Detail.
Isabelle Faust und Antoine Tamestit beim Akademiekonzert in der Bayerischen Staatsoper am 12. Januar 2020 | Bildquelle: © Bayerische Staatsoper Schließlich hat Mozart die Bratschen im Orchester geteilt – es gibt nicht nur Erste und Zweite Violine, sondern auch Erste und Zweite Viola. Die Sinfonia Concertante ist ein Manifest der musikalischen Gleichberechtigung: Die Bratsche ist endlich einmal nicht bloß Lieferant für Mittelstimmen-Füllsel, sondern ebenbürtiger Partner der Geige. Dass diese Aufführung so exemplarisch gelingt, liegt nicht zuletzt an den überragenden Solisten. Die Geigerin Isabelle Faust und der Bratschist Antonine Tamestit sind hellwache, schlagfertige Dialogpartner, die miteinander diskutieren und flirten wie zwei Figuren aus einer Da-Ponte-Oper. Und wenn sie in Terzen und Sexten verschmelzen, dann lauschen wir einem Liebesduett – oder auch, im abgründig traurigen langsamen Satz, einer zutiefst berührenden Klage. Was lässt diese Mozart-Sternstunde für die Zukunft hoffen?
Das wäre doch mal was: Ein Bayerischer Generalmusikdirektor, der Mozarts Opern als Chefsache begreift! Immerhin ist Mozart, dessen "Idomeneo" in München uraufgeführt wurde, ein "Hausgott" der Bayerischen Staatsoper. Jurowskis Vorgänger Zubin Mehta und Kent Nagano konnten mit Mozart nie so recht überzeugen. Selbst Kirill Petrenko tat sich – vergleichsweise – eher schwer mit Mozart. Zwar dirigierte er einen sehr beachtlichen "Titus". Dabei erreichte er aber nicht die überwältigende Stimmigkeit und Präsenz seiner Wagner- und Strauss-Interpretationen. "Figaro" und "Don Giovanni", die vielleicht größten Meisterwerke der Operngeschichte, überließ Petrenko Gastdirigenten. Mit Jurowski könnte die Staatsoper endlich einen Chef bekommen, der Mozarts Musik mit dem gleichen persönlichen Engagement bedenkt wie Wagner und Strauss.
Petrenko hat die historische Aufführungspraxis zwar aufmerksam studiert, aber keine eigene Erfahrung als Dirigent von Alte-Musik-Ensembles. Beim ungefähr gleichaltrigen Jurowski ist das anders: Als "Principal Artist" des Orchestra of the Age of Enlightenment arbeitet er regelmäßig mit alten Instrumenten. Was er dabei gelernt hat, kommt auch seiner Zusammenarbeit mit dem Staatsorchester hörbar zugute. Und weckt erwartungsvolle Vorfreude!
Ebenso überzeugend ist seine Interpretation von Bruckners Dritter. Sehr genau und detailklar ist Jurowskis Zeichensprache. Mit weit ausgreifenden Bewegungen strukturiert er die symphonischen Blöcke von Bruckners großräumiger Architektur. Dabei setzt er wieder auf einen transparenten, frei schwingenden Klang. Kein Drücken und Schluchzen in den Streicherkantilenen, sondern noble Gesanglichkeit. Keine martialischen Machtspiele in den Blechbläserchorälen, stattdessen atmende Kraftentfaltung.
Vladimir Jurowski beim Akademiekonzert am 12. Januar 2020 | Bildquelle: © Bayerische Staatsoper Umsichtig und wirkungssicher entfesselt Jurowski die Urenergien von Rhythmus und Klang. Mit einer ausgefeilten Lautstärke-Dramaturgie sorgt er dafür, dass die Höhepunkte nicht zu früh kommen. Und er macht die Charaktere verständlich, ohne die Bruckners Kosmos sinnlos bleibt: Choral und Ländler, das österreichische Idiom und die katholische Bilderwelt. Besonders eindrucksvoll etwa beim zweiten Thema des Finales, in dem Bruckner einen volkstümlichen Tanz mit einem feierlichen Blechbläserchoral kombiniert.
Anders als Petrenko, der Detailarbeit in den Proben mit euphorischer Emotionalität im Konzert kombiniert, ist Jurowski kein Überwältigungs-Künstler. Er wirkt kontrollierter, weniger forciert. Petrenkos Luftsprünge sind seine Sache nicht. Doch mit seinen Mitteln schafft Jurowski durchaus magische Momente. Es ist weiße Magie. Bei aller Aufmerksamkeit auf die Struktur wirkt seine Kommunikation mit den Orchestermusikern immer offen für die Inspiration des Augenblicks. Und die ist ganz offensichtlich wechselseitig: Dirigent und Orchester verstehen sich. Das Publikum spürt das – und lässt sich begeistern.
Sendung: Allegro am 13. Januar 2020 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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