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Kritik – "Götterdämmerung" in Würzburg Schlachtfeld Familie

Eine ganz besondere Premiere fand am 26. Mai am Mainfrankentheater Würzburg statt: Wagners "Götterdämmerung" in einer orchestral reduzierten Neufassung. Regisseur Tomo Sugao zeigt Wagners Untergangsdrama als Kampf der Generationen: Die Kinder werden Opfer des Ehrgeizes ihrer Vorväter. Schauplatz ist ein Naturkundemuseum. Enrico Calesso stand am Pult, das Publikum war begeistert.

Bildquelle: Nik Schölzel

Die Kritik zum Anhören

Was hat Wotan wohl gewählt? Der Mann ist ja von Berufs wegen Göttervater, privat allerdings vor allem Fatalist und somit reif für den Weltuntergang. Da hätten sich mehrere Parteien angeboten, aber statt zur Europawahl ging Wotan lieber ins Museum. Jedenfalls am Würzburger Mainfrankentheater, wo der japanische Regisseur Tomo Sugao Wagners "Götterdämmerung" als Kampf der Generationen inszenierte, oder, mythologischer ausgedrückt, als Fluch der Ahnen und als Familienaufstellung. Also sitzen im Naturkundemuseum all die Monster der Vergangenheit herum, außer Wotan und seinen Walhall-Kollegen auch noch die Rheintöchter und natürlich Fafner, der imposante Drache.

Brünnhilde hat einen Vaterkomplex

Sie alle sind längst verblichen in ihren Vitrinen, und mischen doch noch kräftig mit im Alltag. Vor allem Hagen und Siegfried, die beiden Helden, leiden schwer unter ihren Vorfahren. Der eine wird zum Bösewicht, weil ihn sein Vater schikaniert und seine Mutter nicht schützen kann, der andere, Siegfried, wird von seinen himmlischen Gönnern so sehr verwöhnt und verzärtelt, dass er jeden Realitätsbezug verliert und ebenfalls am Leben scheitert. Und auch Brünnhilde hat einen Vaterkomplex, weil Wotan von ihr immer nur Demut verlangte und sie sich die Liebe mühsam selbst beibringen musste. Lauter traumatisierte, versehrte und einsame Kinder – kein Wunder, dass sie alle nur noch weg wollen aus dieser kalten, aberwitzigen Welt.

Ausflug in die mythische Unterwelt

Szenenfoto | Bildquelle: Nik Schölzel Die Würzburger "Götterdämmerung": Szenenfoto | Bildquelle: Nik Schölzel Ihnen gegenüber stehen die irre gut gelaunten Gibichungen, bei denen das ganze Jahr Karneval ist, die ihre Lobby zum Puff gemacht haben und in einer Art Oval Office hausen. Wie sich herausstellt, eignen sich die dortigen Fahnenstangen hervorragend zum Meuchelmord. Ausstatter Paul Zoller und Kostümbildnerin Carola Volles haben tief in die Wagner-Kiste gegriffen und sich kräftig inspirieren lassen vom pseudogermanischen Federschmuck und Trinkhorn, von Runenkult und Drachenhöhle. Daraus machten sie keine Satire, sondern eher einen Ausflug in die mythische Unterwelt, und zwar wörtlich verstanden als Reise in die Welt unter dem Alltäglichen, vielleicht auch ins Unbewusste.

Die Nornen führen durchs Programm

Durch das Programm führen bei Tomo Sugao die Nornen, die Schicksalsgöttinnen, die bei Wagner eigentlich nur in der Eröffnungs-Szene auftreten, in Würzburg aber über sechs Stunden hinweg als Bühnenarbeiterinnen dabei sind. Ja, diese Deutung ist bildstark, plausibel, zeitlos, handwerklich meist gut gemacht und war insgesamt ein großer Erfolg. Einmal mehr ist der negative Held, also Hagen, die interessanteste Figur. Vor allem seine Geschichte dominiert, und Guido Jentjens spielt das mit psychologischem Feingefühl und singt das mit großer Aufrichtigkeit. Jede seiner Mienen ist nachvollziehbar, sein Neid, sein Hass, seine Gefühlskälte, seine Arroganz, weil die Zuschauer wissen, warum er so geworden ist: Ein Kinderstatist führt seine frühen Jahre vor, seinen erzwungenen Weg in den Zynismus.

Zum Helden geboren, aber nicht gemacht

Sehr überzeugend auch die russische Sopranistin Elena Batoukova-Kerl: stimmlich und äußerlich von majestätischer Ausstrahlung, unnahbar und dominant, doch innerlich verletzlich und tieftraurig. Paul McNamara als Siegfried kommt ganz unheldisch daher, auch sein Gesang ist eher verschattet, dunkel, dafür sehr ehrlich und maskulin. Ein privilegierter Bursche, der nie gelernt hat, auf eigenen Füßen zu stehen, abhängig ist von anderen und daran zugrunde geht. Dieser Siegfried ist zum Helden geboren, aber nicht gemacht. Ein sehr gescheites, filigranes und somit untypisches Rollen-Porträt.

Ungewöhnlich stark präsenter Chor

Szenenfoto | Bildquelle: (c) Nik Schölzel Die Würzburger "Götterdämmerung": Szenenfoto | Bildquelle: (c) Nik Schölzel Dirigent Enrico Calesso schien sich streckenweise an seinem großen italienischen Berufskollegen Arturo Toscanini zu orientieren, so langsam, gravitätisch und versonnen ging er zu Werke. Die Aufführung dauerte gut sechs Stunden und hatte damit Bayreuth-Länge, obwohl die Pausen deutlich kürzer waren. Klar, Calesso ist noch kein Wagner-Routinier und hatte somit allen Grund zu Vorsicht und Respekt vor einer derartigen Riesen-Partitur, auch wenn eine bearbeitete, reduzierte Fassung von Eberhard Kloke aufgeführt wurde, die mit deutlich weniger Harfen, Blechbläsern und Streichern auskam. Etwas weniger zeremonielle Breite und mehr zupackender Gestaltungswille hätten den Abend noch überzeugender gemacht. Aber auch so war es eine sehr beachtliche Gesamtleistung, nicht zuletzt durch die viel beschäftigten Statisten und den ungewöhnlich stark präsenten Chor. Großer Jubel des Publikums.

Sendung: "Allegro" am 28. Mai 2019 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Die Würzburger "Götterdämmerung"

Richard Wagner:
"Götterdämmerung"
Bearbeitung für Soli, Chor und mittelgroßes Orchester von Eberhard Kloke
Philharmonisches Orchester Würzburg
Opernchor des Mainfranken Theaters Würzburg
Musikalische Leitung: Enrico Calesso
Regie: Tomo Sugao

Informationen zu Terminen und Vorverkauf erhalten Sie auf der Homepage des Mainfrankentheaters Würzburg.

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