Romantische Tüllröckchen und unzählige Pirouetten – das verbinden viele mit klassischem Ballett. Auf viele aber wirkt genau das altbacken. Der US-Amerikaner William Forsythe hat in den 1980er-Jahren diesen Laden auf den Kopf gestellt und das Ballett revolutioniert. Los ging seine Weltkarriere in Stuttgart, erst als Tänzer, dann als Choreograf. Mit Beats und Bach, mit atemberaubender Virtuosität und verführerischen Pas de deux hat er geforscht, gearbeitet und unglaubliche Shows kreiert, ohne den klassischen Kanon zu verlassen. Am 30. Dezember 2019 feiert Forsythe seinen 70. Geburtstag.
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Chachacha, Rumba und Slow Fox hat William Forsythe getanzt, als er noch zur High School ging. An vielen Tanz-Wettbewerben hat der Schüler damals teilgenommen. Mit seinem weichen Hüftschwung und den akkurat gesetzten Schritten hat er diverse Pokale gewonnen. Das Faible für beide Bewegungselemente hat Forsythe nie abgelegt, auch nicht, als er später in New York Balletttänzer wurde. In Forsythes Choreographien surren, schreiten, springen die Tänzer in blitzschnell wechselnden geometrischen Formationen über die Bühne – sie beleben und erobern den Raum. Bei Forsythe stechen die Spitzenschuhe der Ballerina schon mal wie eine Zirkelspitze in den Boden, das Gegenbein fliegt für eine Sekunde 180 Grad nach oben, und peitscht zurück, so unerbittlich scharf wie das Messer einer Guillotine.
Bewege dich mit einer Klarheit und zwinge dich nicht zu einer Bewegung – das fordert William Forsythe immer wieder. Das ist leicht gesagt, aber hart erarbeitet. Denn die von Forsythe gewünschten "klaren Bewegungen" haben sich die Tänzer im strengen klassischen Balletttraining erkämpft, wo der Körper bis an die Grenzen seiner physischen Möglichkeiten gezwungen wird.
Bewege dich mit einer Klarheit und zwinge dich nicht zu einer Bewegung.
"Duato, Forsythe, Goecke", Tanz-Choreographien mit dem Staatsballett Berlin in der Staatsoper im Schillertheater in Berlin | Bildquelle: picture-alliance/dpa Forsythe baut also alle Choreografien auf ein klassisches Fundament. Damit steht er zum einen in der Tradition des Neoklassikers George Balanchine. Forsythe steht außerdem auf den Urgroßvater des Balletts, auf Marius Petipa. Der choreografierte im 19. Jahrhundert viele Handlungsballette: Adams "Giselle", Tschaikowskys "Nussknacker" oder auch den "Schwanensee". Im Gegensatz zu Petipa geht es Forsythe aber nicht um eine dramatisch angelegte Story. "In einem Buch über klassisches Ballett habe ich im Vorwort etwas gelesen, das mich besonders beeindruckt hat: nämlich, dass sich das Ballett davon wegbewegen muss, die Geschichten anderer zu erzählen, zu illustrieren. So wie das früher mal war, als das Ballett noch Bestandteil der Oper war."
Das Ballett erzählt die Beziehung zu sich selbst und zum Körper.
Das Ballett "Artifact" wird im Jahr 1984 der Durchbruch für Forsythe als Choreograf. In einer ersten Spielzeit als Ballettchef in Frankfurt bringt er das handlungslose abendfüllende Ballett auf die Bühne. Das kreuzbiedere Publikum erstarrt wie das Kaninchen vor der Kobra über das, was da geboten wird: Zur Musik von Johann Sebastian Bach sind die Tänzer grazil-virtuose Beherrscher ihrer Körper, kugeln sich scheinbar pausenlos das Hüftgelenk aus, haben Bänder aus Gummi, sie sind außerdem Interpreten der mathematischen Struktur in Bachs Musik und obendrein auch noch Transmitter der berührend schönen Klänge.
Ballett Augsburg: Szene aus "Forsythe/Galili/Volpi" | Bildquelle: Nik Schölzel Die Forsythe-Fangemeinde wächst rasch, Forsythe erzieht sein Publikum, lernt es das Lesen seiner coolen, swingenden, messerscharfen Bewegungen. 20 Jahre dauert die Ära Forsythe, bis die Stadt aus Spargründen das Ballett streicht. Auf inzwischen legendäre Art und Weise flippte der eigentlich stets kontrollierte und überaus höfliche Amerikaner aus: "Das ist eine Katastrophe für Frankfurt! Die Politiker und die Öffentlichkeit, alle sollten mal ihre verdammten Hintern hochkriegen und etwas unternehmen!" Den Hintern hochbekommen hat damals keiner, Forsythe gründet seine eigene Compagnie mit einem vergleichsweise minimalen Etat und tourt mit dieser bis zum Jahr 2015 durch die Welt.
Und jetzt, mit 70 Jahren, denkt Forsythe natürlich nicht ans Aufhören, er widmet sich verschiedenen anderen Künsten, macht Ausstellungen zum Tanz, entwickelt Computerprogramme über getanzte Bewegungsmuster. Außerdem choreografiert William Forsythe regelmäßig für das Boston Ballet und erforscht mit frischem Blick für die jungen Tänzer die schier unerschöpflichen Möglichkeiten des menschlichen Körpers.
Sendung: "Allegro" am 30. Dezember 2019 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK