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Zum 60. Geburtstag des Trompeters Wynton Marsalis Glänzende Töne – Klare Worte

Seine Töne haben den Jazz und die Klassik verändert, dabei polarisiert er wie kaum ein anderer Musiker seiner Generation: Wynton Marsalis. Am 18. Oktober 2021 feiert er seinen 60. Geburtstag.

Trompeter Wynton Marsalis | Bildquelle: Clay McBride

Bildquelle: Clay McBride

Er spricht, wie er spielt. Jeder Ton füllt den Raum, jedes Wort hat Druck. Was er sagt, das meint er genauso, und was er spielt, hat eine tiefere Bedeutung: Wynton Marsalis.

Ein virtuoser Überflieger an seinem Instrument, der Trompete, und ein Kämpfer für den Jazz, zumindest für das, was Marsalis dafür hält. Da hat er eine klare Vorstellung, und die verteidigt er, auch mit heftigen Worten. Dabei ist Wynton Marsalis manchmal ziemlich entspannt: die Internetleitung bricht während des Interviews immer wieder zusammen, der Startrompeter wählt sich aber immer wieder brav ein, er verabschiedet sich lässig-jovial mit einem "Goodbye my little brother Ulrich".

Wenn es um anderes geht, ist er ganz und gar nicht locker: "Es gibt so viel Rassismus in der Jazzszene, durch die Korruption und die rassistische Art der Jazzkritiker. Jazz bedeutete mal Integrität. Aber diese Integrität ging verloren. Alles, was sich gut verkauft, wurde gefeiert und die rassistische Idee nahm überhand, dass alles, was schwarze Musiker machen, keinen Wert hat."

Deutliche Worte, die man im Gespräch erst mal verdauen muss. Wynton Marsalis äußert sich schon lange zur Lage des Jazz und zur Lage der afroamerikanischen Menschen in seinem Land. In etlichen Werken hat er politisch und gesellschaftlich Stellung bezogen:

"Musiker sagen schon immer gesellschaftsrelevante Dinge. Jazz ist perfekt dafür geeignet, weil die Afroamerikaner immer schon darunter leiden, im sogenannten 'Land der Freiheit' nicht wirklich frei sein zu können, denn ein großer Teil der Bevölkerung will gerade nicht, dass sie frei sind. Jazz als politisches Sprachrohr ist sehr kraftvoll, wenn du weißt, was er wirklich ist. Bis heute wird er verschleiert, und es gibt ganz viele Täuschungsversuche, damit sichergestellt ist, dass die Leute nicht wissen, was Jazz ist."

Deutungshoheit in Sachen "Jazz"

Was Jazz ist, das definiert Wynton Marsalis: akustische Musik, die swingt, Einflüsse aus Rock, Pop, Hiphop sind auf keinen Fall zulässig. Darüber diskutiert seit Ende der 80er Jahre die Szene leidenschaftlich. Die einen sagen, Marsalis sei ein rückständiger Traditionalist, einer, der Musik fürs Museum mache. Die anderen feiern ihn als den Retter des "wahren" Jazz. Fast erbitterte Streitigkeiten gab und gibt es unter den verschiedenen Lagern. Marsalis' Rolle spitzt diesen Konflikt sicherlich zu: Er ist nicht nur ein großartiger Musiker, er ist auch ein äußerst aktiver Kulturpolitiker.

Trompeter Wynton Marsalis auf der Bühne | Bildquelle: Frank Stewart Trompeter Wynton Marsalis mit seinem "Jazz at Lincoln Center Orchestra" | Bildquelle: Frank Stewart Seit 1987 ist er mit der Kulturstätte "Lincoln Center" in New York verbunden. Er ist Leiter der eigenständigen Organisation "Jazz at Lincoln Center", und in dieser Funktion programmiert er Konzertreihen, studiert Programme mit der Hausbigband ein, dem "Jazz at Lincoln Center Orchestra", und er hat einen direkten Draht zur Politik. Mit fast allen US-Präsidenten der letzten 30 Jahre hat er ein Erinnerungsfoto, entstanden bei unterschiedlichen Kultur-Empfängen. Wenn einer so in der Öffentlichkeit steht, hat er auch eine machtvolle Stimme, wenn es darum geht, zu definieren, was Jazz ist und was nicht.

Ein Star im Jazz und in der Klassik

Dabei ist der musikalische Kosmos "Wynton Marsalis" noch viel weiter. 1982 veröffentlichte er sein Debutalbum als Jazzmusiker mit gerade mal 20 Jahren. In der Folgezeit erschien fast jedes Jahr ein Jazz-Album, aber auch eines mit klassischer Musik. Er wurde neben seiner Karriere im Jazz auch zum Star der Klassik, spielte mit renommierten Orchestern und Solisten, etwa mit den Sängerinnen Edita Gruberova oder Kathleen Battle. Er gewann im Jazz und in der Klassik Grammys und schaffte es als einer der wenigen, sich in beiden Welten fest zu etablieren.

Auch als Komponist erlangte er Weltruhm: Sein Werk "Blood on the Fields", ein dreistündiges Jazz-Oratorium, wurde 1997 als erste Jazzkomposition überhaupt mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Das Schreiben für klassisches Orchester weckte Marsalis' Interesse, er komponierte Stücke, bei denen seine Bigband in Interaktion mit Orchestern trat, etwa die "Swing Symphony". 2010 führte das "Jazz at Lincoln Center Orchestra" dieses Werk zusammen mit den Berliner Philharmonikern auf. Sir Simon Rattle dirigierte und war begeistert von dieser Zusammenarbeit.

Vom Wunderkind Wynton zum mächtigen Marsalis

Trompeter Wynton Marsalis | Bildquelle: Frank Stewart Trompeter Wynton Marsalis | Bildquelle: Frank Stewart Der Grundstein für Wyntons einzigartige Karriere wurde schon ganz früh gelegt. Er war ein Wunderkind, aufgewachsen in New Orleans in einer Jazzfamilie. Sein Vater war Pianist und Jazz-Pädagoge. Sein ältester Bruder Branford zählt zu den herausragenden Saxophonisten unserer Zeit, zwei weitere Brüder sind auch Jazzmusiker. Schon als Kind gewann Wynton Wettbewerbe in der Klassik, spielte aber auch New-Orleans-Blasmusik bei den Paraden in der Stadt.

Die Familie war sicher auch ein Ort des Wettstreits und der ständigen Suche nach Anerkennung. Wynton nahm diese Herausforderung früh an. Heute ist er vielleicht der berühmteste Jazzmusiker seiner Generation, aber auch der umstrittenste. Ein Mann der Superlative, mit Botschaft und mit dem Willen, bedingungslos für seine Ziele zu einzustehen.

"Kämpfe für deine Standpunkte. Wenn du Ungerechtigkeit siehst, sei dagegen. Steh nicht nur apathisch herum, du musst kämpfen für die Welt, in der du leben möchtest. Und das kannst du überall, denn es gibt unzählige kleine korrupte Handlungen, die zu großer Korruption führen. Menschenrechte werden überall mit den Füßen getreten. Wenn du das bei dir selbst bemerkst oder bei anderen, tu alles, was du kannst, um dagegen anzugehen!"

Wynton Marsalis: Einer der polarisiert, mit seinen glänzenden Tönen und seinen klaren Aussagen, einer der streitet für seinen Jazz, aber auch gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung.

Sendungen:

"KlassikPlus" am 14. Oktober 2021 ab 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK
"Leporello" am 18. Oktober 2021 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
"Jazztime" am 18. Oktober 2021 ab 23.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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