Die Pop-Musikwelt Ägyptens steht stellvertretend für die Schwierigkeiten der Kulturszene des Landes, wo Zensur und Verhaftung an der Tagesordnung sind. Falsche Musik am falschen Ort und politische Inhalte sind oft Grund dafür, dass Konzerte abgesagt werden oder Musiker in Haft gehen. Menschenrechtsorganisationen bezeichnen die momentane Lage von Künstlerinnen und Künstlern in Ägypten als die schlimmste Zeit seit Jahrzehnten.
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Hast du nicht einmal vom Nil getrunken? Singt die ägyptische Star-Sängerin Shirin in einem ihrer bekanntesten Lieder. Doch dann der Skandal: Als sie bei einem Konzert aufgefordert wird, das Lied anzustimmen, sagt sie lachend: "Trinkt lieber nicht vom Nil, sonst werdet ihr krank, trinkt lieber Mineralwasser." Was als Scherz gemeint war, hat für Shirin in Ägypten dramatische Folgen: Ein Anwalt reicht Klage ein. Radiosender spielen ihre Lieder nicht mehr. Der Musiker-Verband suspendiert sie. Shirin wird zur Persona non Grata.
Die libanesische Gruppe Mashrou' Leila bei einem Konzert in Kairo. | Bildquelle: ©picture-alliance/dpa/Benno Schwinghammer Und sie ist nicht die einzige: Die junge Musikerin Shaimaa wird zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil sie in ihrem Musikvideo lasziv an einer Banane leckt. Der Richter sah es als erwiesen an, dass sie zur Unzucht anstifte. Die beliebte libanesische Indie-Pop-Band Mashrou‘ Leila darf in Ägypten nicht mehr auftreten, seit auf ihrem letzten Konzert im Herbst eine Regenbogenflagge geschwenkt wurde. Die Veranstaltung wurde daraufhin als Homosexuellen-Orgie bezeichnet, mehrere Konzertbesucher verhaftet.
Die Ägypterin Hoda Salah ist Politikwissenschaftlerin in Berlin. Anders als viele Menschen in Ägypten, traut sie sich offen zu sprechen. Sie sagt, der Staat spiele sich als Hüter der Moral auf, um von eigentlichen Problemen abzulenken: "Das ist wirklich dramatisch, was derzeit in Ägypten passiert!" Vor allem bekommen die Bands Probleme, die in ihren Texten politisch sind. So zum Beispiel Cairokee - eine ägyptische Band, die während der Revolution des sogenannten arabischen Frühlings vor sieben Jahren bekannt wurde. Ihr Lied "Horreya"/"Freiheit" - wurde einer der Ohrwürmer der Revolution. Doch seitdem hat sich viel verändert in Ägypten - und Cairokee spürt das. Bandleader Amir Eid: "Das Leben geht zwar irgendwie weiter, mit seinen Höhen und Tiefen, aber man fühlt sich deprimiert. Manchmal überlegt man, ob man nicht zu Hause bleibt und alles hinwirft. Fast alle in Ägypten sind verstummt, nur wenige sprechen über die Situation im Land. Nur noch wenige Sänger trauen sich darüber zu singen, viele haben das Land verlassen."
Es ist dramatisch, was derzeit in Ägypten passiert!
Auch Musik-Manager Mahmoud Youssef beobachtet den Druck, unter dem einige Musiker stehen. Das Hauptproblem sei die Zensur, sagt er. "Über manche Themen darfst du nicht mehr sprechen. Sexuelle Themen oder Politik dürfen in den Liedern nicht mehr vorkommen. Einige der bekanntesten Bands in Ägypten haben jetzt Beschränkungen, was sie singen dürfen. Das ist das Problem der Szene," so Mahmoud Youssef. Cairokee kann seit Monaten nicht mehr auftreten. Immer wieder werden Konzerte angekündigt - und dann kurzfristig ohne Angabe von Gründen wieder abgesagt. Auf Twitter schreibt der Bandleader: "An diejenigen, die denken, dass sie schlau sind und ich den Kürzeren ziehen werde: Mit jedem neuen Lied zeigt sich, dass ihr nur eine Gruppe von Provokateuren seid. Wir zahlen den Preis dafür - und trotzdem machen wir weiter!"
Musikmanager Mahmoud Youssef | Bildquelle: privat Und Musikmanager Youssef wünscht sich vor allem eine freie Kulturszene: für Ägypten: "Freiheit muss bei der Kunst beginnen. Wir Ägypter haben nie gelernt, wie man mit Freiheit umgeht. Aber das heißt nicht, dass ich den Menschen die Freiheit nehmen kann. Ich muss ihnen beibringen, damit umzugehen. Und die Kunst ist der beste Weg, den Menschen die Freiheit zu lehren. Das ist meine Philosophie."
Sendung: "Allegro" am 2. Februar 2018, 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK