Er hat nie verheimlicht, dass ihm sein Talent ziemlich egal ist. Er spielt wie und was er will. Auch die vermeintlich unantastbaren Klassiker – wie Bach, Beethoven und Brahms. Woher der heute 64-Jährige sein Selbstbewusstsein hat? Jetzt ist seine Autobiografie auf Deutsch erschienen.
Nigel Kennedy beginnt sein Buch "Mein rebellisches Leben" gleich mit einer Warnung:
"Wo ich nun mal vierundsechzig bin, mag meine Ausdrucksweise der heutigen Gedankenpolizei möglicherweise hier und da politisch nicht ganz korrekt erscheinen, vor allem wenn ich witzig zu sein meine. […] Bitte ärgert euch nicht, entspannt euch! Ihr habt die Wahl."
Mit seiner Autobiographie wird der Star-Geiger Nigel Kennedy seinem Ruf gerecht, das Enfant Terrible der klassischen Musikszene zu sein. Er benutzt häufig derbe und im Comic-Stil lautmalerische Sprache, wenn er seine sogenannten "Shituations" beschreibt. Die Erzählung seiner Anekdoten ist dabei durchaus amüsant, etwa wenn er berichtet, dass er bei einem Konzert die Bratsche wie ein Cello zwischen den Beinen spielen musste, nachdem ihm beim Hinsetzen die Hose geplatzt war.
Nigel Kennedy mit seinem Jazz-Trio Midnight Blue. Die Liebe zum Jazz hat Kennedy spätestens mit 16 Jahren entdeckt, als er mit Jazz-Legende Stéphane Grappelli auftrat. Kennedy stand aber auch mit der Rockband The Who auf der Bühne und war mit Paul McCartney im Studio. Der Star-Geiger hält die Unterteilung der Musik-Genres und die absolute Fokussierung auf nur eine Musikrichtung für nicht sinnvoll.
"Ich habe viele Musiker gesehen, die nur klassische Musik machen und damit absolut vor die Wand fahren. Sie verlieren ihre Inspiration und wissen nicht, was sie tun sollen, weil sie nur von Ort zu Ort reisen und diese Konzerte wiederholen. Man braucht Zeit, um aufzutanken und nicht nur immer zu geben."
Der heute 64-jährige Brite wurde schon in jungen Jahren als Wunderkind entdeckt – von keinem Geringeren als Yehudi Menuhin, einem der bedeutendsten Geigenvirtuosen des 20. Jahrhunderts. In einem Interview hat sich Kennedy über seinen Förderer einmal sehr dankbar geäußert: "Jemand wie Yehudi Menuhin hat mir Zugang zur klassischen Musik verschafft, indem er mich in seine Musikschule aufgenommen und für alles bezahlt hat. Er hatte großen Einfluss auf mich und war sehr generös."
Seine Aufnahme der "Vier Jahreszeiten" machte Kennedy 1989 zum Star. Sie wurde zum meistverkauften Klassik-Album aller Zeiten. In seiner Autobiographie behauptet Kennedy selbstbewusst, dass er die Fähigkeit hat, instinktiv und emotional die Gefühle des jeweiligen Komponisten zu verstehen und sie im Hier und Jetzt auszudrücken. Der schillernde Exzentriker grenzt sich damit von Kolleginnen und Kollegen der Branche ab, die sich seiner Ansicht nach verzweifelt an Technik und Theorie klammern, anstatt diese als Mittel zum Zweck zu verstehen.
An anderer Stelle stellt Kennedy aber auch wenig begeistert fest, dass ihn heute mehr und mehr Musiker kopieren. "Es wimmele nur so von Epigonen seiner selbst" schreibt er, ohne jedoch Namen zu nennen.
Der Titel des Buches "Mein rebellisches Leben" ist gut gewählt. Der britische Star-Geiger Nigel Kennedy hat schon in der Musikschule von Yehudi Menuhin versucht, Regeln und Konventionen zu entkommen. Er hat sich entschieden, sich nicht anzupassen und scheint heute mit sich und seiner Lebensleistung sehr zufrieden zu sein.
Sendung: Allegro, 13. April 2022 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK