Seine Stimme: ein dunkel eingefärbter Tenor mit samtweicher Struktur und einem verführerischen warmen Glanz. Seine Ausstrahlung: magisch. Sein Repertoire: schier unüberschaubar, 150 Rollen. Seine Karriere: unendlich. Seit weit über 60 Jahren steht der gebürtige Spanier Plácido Domingo auf der Bühne, in vorderster Reihe. Gefeiert, umjubelt, geliebt. Doch zuletzt bekam das Bild vom charismatischen Weltstar einen Riss: Im Zuge der MeToo-Debatte warfen ihm mehrere Frauen sexuelle Belästigung vor. Am 21. Januar feiert Plácido Domingo seinen 80. Geburtstag.
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Salzburger Festspiele, 25. August 2019: Plácido Domingo steht auf der Besetzungsliste einer konzertanten Aufführung von Giuseppe Verdis "Luisa Miller". Es ist sein erster Auftritt nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen ihn wegen angeblicher sexueller Belästigung. Die fiebrige Anspannung im Großen Festspielhaus ist mit Händen zu greifen – und entlädt sich schon vor Vorstellungsbeginn in einer stürmischen, minutenlangen Standing Ovation für den spanischen Opernstar. Dieser demonstrativen Schuldbefreiung durch das Publikum folgt drei Stunden später der Jubel für den Sänger Domingo, der auch mit 78 Jahren unermüdlich neue Partien einstudiert. Seit einiger Zeit steht er nur noch als Bariton auf der Bühne; als Tenor hat er schon alles gesungen, was seine Stimme hergibt; schon jetzt hat er sich als unangefochtener Rollen-Weltrekordler verewigt. Über 150 Opernhelden hat er insgesamt verkörpert.
Als Bariton hat der gebürtige Spanier vor mehr als 60 Jahren auch begonnen – am Konservatorium von Mexico City, als 16-Jähriger. Vielleicht ist er da auch schon 20 – manche Quellen nennen 1937 als Geburtsjahr des Sängers. Seine Ausbildung beendet er als Tenor. 1966 setzt die New York City Opera die neue Oper "Don Rodrigo" des Argentiniers Alberto Ginastera auf den Spielplan – und verpflichtet Domingo für die Titelpartie. Der junge Unbekannte wird über Nacht bekannt. Zwei Jahre später ist er berühmt – nach seinem Debüt an der MET, als sensationeller Einspringer für Franco Bonisolli in Francesco Cilèas "Adriana Lecouvreur".
Man liebt ihn, dieses Bühnentier, das sich privat in den charismatischen Star verwandelt – mit dem gewinnenden Lächeln und der höflichen, zugewandten Art. Der nach dem verheerenden Erdbeben in Mexiko (dem Land, in dem er aufgewachsen ist) ein Jahr lang nur noch Benefizkonzerte gibt. Der die Welt der Oper, im Verein mit Pavarotti und Carreras, zur Welt für alle erklärt. Nach dem frühen Erfolg in New York reißt man sich weltweit um Domingo, und der liefert, vor allem Verdi: Alfredo, Riccardo, Don José, Radames und Don Carlos. Dazu Hoffmann und das ganze Puccini-Paket. Bald wird er für Schallplattenaufnahmen gebucht. Mit Mitte 30 steht er innerhalb eines Dreivierteljahrs für neun Operngesamteinspielungen im Studio, darunter die "Meistersinger". Die Ausflüge ins deutsche Fach führen in 1992 nach Bayreuth – als Parsifal. Ein Erfolg – wie sein Siegmund acht Jahre später. Auch wenn sein Deutsch nicht als solches zu erkennen ist …
Auf den Grünen Hügel kehrt er als Dirigent zurück – und strauchelt mit der "Walküre". Die Sänger schwimmen, das Orchester schleppt, die Einsätze wackeln. Verwundert nimmt Domingo beim Schussapplaus die Buhs entgegen. "Warum tut er sich das an?" fragen sich viele. Er hat doch schon alles erreicht.
Sendungs-Tipp: "Klassik-Stars" zum 80. Geburtstag von Plácido Domingo am 21. Januar 2021 ab 18:05 Uhr auf BR-KLASSIK