Es ist inzwischen schon Tradition, dass die Salzburger Festspiele vor den ersten großen Opernpremieren mit einer "Ouverture spirituelle" beginnen, bei der auch immer die Musik jeweils einer großen Weltreligion - ob Judentum, Buddhismus oder Islam - im Fokus der Konzerte steht. In diesem Jahr nun geht es um die christlichen Ostkirchen: ein Thema, das durch die derzeitigen gesellschaftlichen Umwälzungen nicht nur eine spirituelle Dimension, sondern auch eine immense politische Brisanz entwickelt hat.
Bildquelle: Salzburger Festspiele / Andreas Kolarik
Beim Stichwort "Ostkirche" denkt man natürlich als erstes an die russische Orthodoxie. Doch bei genauem Hinsehen gibt es zwischen dem Balkan, Äthiopien und Sibirien eine verwirrende Vielzahl orientalischer Kirchen, deren Wurzeln bis in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte zurückreichen. Und so hat Konzertchef Florian Wiegand auch armenische Mönche, einen koptischen Chor aus Ägypten und Christen aus dem Nahen Osten zu den Salzburger Festspielen eingeladen: "Wir hatten natürlich das Ziel gehabt, einen Chor aus Syrien zu bekommen. Es ist uns sogar gelungen, einen ehemaligen Chorleiter aus Aleppo in Schweden ausfindig zu machen, der hoffnungsvoll war, seine ehemaligen Choristen für ein Konzert in Salzburg zusammenzubringen. Es ist nicht geglückt, weil all diese Choristen Asylverfahren in verschiedenen Ländern beantragt haben und daher nicht zusammenzubringen sind."
Die intensiv-innigen, subtil verzierten Gesänge der syrisch-orthodoxen, der melkitischen und der maronitischen Christen waren dann dennoch im Konzert am 25. Juli in der Salzburger Kollegienkirche dank der libanesischen Ordensschwester Marie Keyrouz zu hören: "Wir kommen aus dem Orient, der heute so sehr leidet. Aber wir wollen mit unseren Gesängen auch an die Schönheit dieses Orients erinnern. Die anderen schicken uns Bomben - wir singen. Im Libanon gibt es zurzeit an jeder Ecke ein Festival. Die Leute haben Angst, aber sie sagen: Wir werden nicht zurückweichen. Wir werden singen, tanzen, Messe feiern. Die Gesänge in unserem Konzert waren zwar uralt - aber sie kommen direkt aus dem Herzen. Es sind Gebete um Frieden."
Wir wollen mit unseren Gesängen auch an die Schönheit des Orients erinnern. Die anderen schicken Bomben - wir singen.
Jordi Savall | Bildquelle: Capella Antiqua Bambergensis "Das einzige Bild, das wir heute von diesen Menschen haben, ist das Bild von den Migranten, die kommen und versuchen, durch das Meer zu kommen. Und ich glaube, es ist wichtig, dass wir ein anderes Bild von diesen Menschen geben. Diese Menschen beherrschen auch eine Kultur - und eine hohe Kultur", sagt der Gambist Jordi Savall. Er erinnerte am 26. Juli mit seinen Ensembles und Gastmusikern aus Griechenland daran, dass Venedig von den Byzantinern gegründet wurde und ein Jahrtausend lang ein Schmelztiegel der Kulturen war: "Venedig war "la porte d’Oriente". Ein Jahr nach der Eroberung von Konstantinopel haben die Venezianer schon wieder neue Verträge mit den Osmanen gemacht. Die waren sehr praktische Leute. Venedig war immer im Kontakt bis Ende des 18. Jahrhunderts mit dem ganzen Orient."
"Ich denke, jede Persönlichkeit, die in der Öffentlichkeit präsent ist, müsste sich mehr engagieren in den konkreten Problemen unserer Zeit. Wir leben in einer Zeit, in der es viele neue Situationen gibt, die sehr kompliziert und gefährlich sind, und ich glaube, wir müssen den Leuten eine klare Position vorgeben, was Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Solidarität bedeuten. Wir können nicht mehr in einer Zeit leben, wo wir uns sicher fühlen in unserer Welt und einfach unsere schöne Musik genießen. Ich glaube, wir sind an einem Moment, wo man sagen muss: Das können wir nicht akzeptieren! Die ganzen Fortschritte, die die Menschheit gemacht hat, waren möglich, weil die Leute gesagt haben: Nein, das können wir nicht akzeptieren, das muss geändert werden. Und wir sind jetzt an einem Moment, wo das sehr wichtig ist. Denn es gibt zu viele große Probleme. Fanatiker schreien ihre Botschaften heraus, die nicht korrekt sind - aber von der Mehrheit geglaubt werden. Und das müssen wir kompensieren durch eine klare Position."
Dass der Einfluss Venedigs umgekehrt auch bis nach Salzburg reichte, ließ sich im Konzert am 27. Juli erleben, das außerhalb des Rahmens der "Ouverture spirituelle" stattfand. Da brachte der tschechische Dirigent Vaclav Luks ein Mammutwerk zum Klingen, das ohne die Erfindung der venezianischen Mehrchörigkeit undenkbar gewesen wäre: die 53-stimmige "Missa Salisburgensis" von Heinrich Ignaz Franz Biber, komponiert für die vier Emporen des Salzburger Doms. Im Vorfeld erklärte Luks: "Ich bin voll von Erwartung, in diesem riesigen Raum zu spielen. Diese pompöse, gigantische Architektur bildet einen Einklang mit der Musik. Ich freue mich riesig, aber ich habe auch großen Respekt davor."