Krieg und Liebe – das ist das Motto der kommenden Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper. Geplant wurde es bereits lange vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine. Denn für Serge Dorny, Intendant der Bayerischen Staatsoper, ist klar: Kriege gehören zur Realität. Er will darin auch Chancen sehen.
BR-KLASSIK: Herr Dorny, das Motto der kommenden Saison ist "Krieg und Liebe". Sie haben sich das schon im Jahr 2018 ausgedacht. Jetzt ist es bestürzend aktuell geworden.
Serge Dorny: Ja, stimmt, leider. Das war nicht die Voraussetzung, als wir mit der Planung des Programms angefangen haben. Jetzt steht der Krieg vor unserer Haustür, obschon Krieg eigentlich immer eine Realität ist. Weiter von unserer Haustür entfernt, in Syrien, Libyen, Afghanistan, Afrika. Krieg ist eigentlich immer ein Teil unseres Lebens gewesen, unserer Welt. Aber gleichzeitig möchte ich glauben, dass Krisen auch Chancen ermöglichen. Und dass aus Katastrophen, aus Spannungsmomenten etwas Neues entstehen kann. Ich glaube, Kriegszeiten fordern von uns, anders zu denken. Und Fragen zu stellen, die wir uns niemals gestellt haben.
BR-KLASSIK: Haben Sie ein Beispiel, wie ist es Ihnen persönlich so gegangen?
Wir haben eine große Verantwortung als Kulturinstitution: Die Gesellschaft in ihrer ganzen Diversität zusammenzubringen.
Es ist doch oft eine Frage des Verständnisses. Man hört, was man hören will. Man sieht, was man sehen will. Alles steht schon fest in unseren Konzepten. Für mich hat die aktuelle Situation meinen Blick und mein Zuhören verändert. Und ich finde, wir haben eine große Verantwortung als Kulturinstitution: Die Gesellschaft in ihrer ganzen Diversität zusammenzubringen.
BR-KLASSIK: Krieg und Liebe. Die Oper ist da ja relativ pessimistisch. Ganz oft sind Krieg und Liebe miteinander verbunden. Liebe führt in den Krieg, im Krieg wird vielleicht Liebe geboren. In "Aida" ist das der Fall. In "Lohengrin" wird martialisch mobil gemacht.
Serge Dorny: Natascha und Andre in "Krieg und Frieden" hätten sich ohne Krieg nicht kennengelernt. Wir haben da sogar einen optimistischen Blick, dass Momente von Spannung – ohne jetzt von Krieg zu sprechen – auch Sachen ermöglichen. Und das ist es eigentlich, was wir in der nächsten Spielzeit darstellen wollen. Mit Werken von "Cosi fan tutte" bis zu "Krieg und Frieden" und Händels "Semele".
BR-KLASSIK: Hatten Sie jetzt ein Problem damit, eine russische Oper auf den Spielplan zu setzen?
Serge Dorny: Überhaupt nicht. Es gibt natürlich die Diskussion darum: Man solle russische Künstler, russische Musik, russische Choreografen nicht mehr aufführen. Diese Argumente verstehe ich nicht. Ich muss ehrlich sagen, zu stigmatisieren ist nicht zeitgemäß. Wir haben eine Periode in der Geschichte des 20. Jahrhunderts kennengelernt, in der wir einen Teil unserer Gesellschaft stigmatisiert haben. Und wir wissen mit welchen tragischen Folgen. Man kann eine Bevölkerung nicht mit einem politischen System identifizieren. Und wir genießen in unserer westeuropäischen Kultur unglaubliche Freiheit. Aber in anderen Kulturen und Ländern ist diese Freiheit keine Realität. Das müssen wir auch verstehen. Und es gibt Werke von Prokofjew, von Schostakowitsch, von Bulgakow, die heute in Russland nicht akzeptiert werden.
Man muss wahnsinnig vorsichtig sein. Es gibt Künstler, die bei der Propaganda mitgemacht haben. Auch heute noch. Diese Künstler sind momentan bei uns nicht eingeladen. Aber 99,9 Prozent der Künstler und Komponisten sind herzlich willkommen an der Bayerischen Staatsoper. Und es ist unsere Verpflichtung, diesen Künstlern eine Bühne zu geben – und auch eine Zukunft. Es ist wichtig, dass sie spüren, dass sie von uns unterstützt werden, um diese schmerzhafte Tragödie, die sie jetzt erleben, zu überleben.
Bis jetzt ist Anna Netrebko nicht in unserem Spielplan.
BR-KLASSIK: Anna Netrebko hat früher Propaganda für Putin gemacht. Sie darf an der Bayerischen Staatsoper nicht mehr auftreten. Mittlerweile hat sich Netrebko aber deutlich von Putin distanziert, auch wenn Sie immer durch wieder seltsame Instagram-Posts irritiert. Wie gehen Sie mit ihr um?
Serge Dorny: Ich warte ab. Auch um die widersprüchlichen Aussagen durch diese Posts einschätzen zu können. Bis jetzt ist Anna Netrebko nicht in unserem Spielplan. Mal sehen, wie sich die Sache weiterentwickelt. Aber ich habe gewisse Vorbehalte und möchte deutliche Aussagen und beobachten, wie das Handeln eigentlich wirklich ist.
BR-KLASSIK: Im neuen Spielplan gibt es die berühmten Komponisten Verdi und Wagner und Mozart auch unter den Premieren. War das eine bewusste Entscheidung, dass Sie das in der ersten Saison noch ein bisschen zurückgestellt haben und jetzt in der zweiten Saison auch Blockbuster neu inszenieren?
Serge Dorny: Mit Vladimir Jurowski wollten wir in der ersten Spielzeit die Vielfalt an Farben und Klängen darstellen - und noch verbreitern. Unsere erste Saison, die ja noch läuft, ist ein sehr europäisches Programm. In der zweiten Spielzeit ist es auch mal interessant, gewisse Produktionen zu erneuern. Die drei Haus-Götter Mozart, Wagner, Strauss sind ein wichtiger Teil im Repertoire der Bayerischen Staatsoper, das wir auch ständig spielen, und ab und zu ist es wichtig, Produktion, die es gibt, zu erneuern. Vom "Lohengrin" gibt es Produktionen etwa von August Everding, Götz Friedrich, Richard Jones. Es ist interessant, die Werke neu zu befragen im Licht der heutigen Zeit. Wie wir heute mit "Lohengrin" umgehen, hat eine total andere Bedeutung als vor 20 Jahren.
Sendung: "Leporello" am 5. Mai 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK