Bei Wettbewerben geht es um Talent – den wichtigsten Rohstoff im internationalen Musikbetrieb. Und um die Frage, wie man ihn zu Starruhm veredelt. Wo es gelingt, steigert die Berühmtheit der Preisträger auch das Prestige des Wettbewerbs und dessen Anziehungskraft. Aber je höher das Bewerberaufkommen, desto größer die Zahl der Enttäuschten.
Bildquelle: © Ralph Lauer - Van Cliburn
Wie man mit der Enttäuschung umgeht, wenn man bei einem Wettbewerb ausscheidet, müssen sich nicht nur Teilnehmer, sondern auch Veranstalter überlegen. Beim traditionsstolzen Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel legt man Wert auf eine akribische Vorauswahl, um unnötige Härten zu vermeiden. "Ein Teilnehmer bereitet sich nicht vier oder fünf Jahre lang auf Brüssel vor, um dann, kaum angekommen, zu hören: Sie können wieder nach Hause gehen. Das ist sehr grausam", sagt der langjährige Jury-Präsident Arie Van Lysebeth.
Beim Klavierwettbewerb in Leeds hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass man den Kandidatinnen und Kandidaten noch etwas Anderes schuldet als die Aussicht auf eine Medaille und ein Urteil der Jury: Es geht auch um Feedback und Hilfe beim Karrierestart. Zahlreiche Nebenschauplätze und Auftrittsmöglichkeiten außerhalb des eigentlichen Wettbewerbsprogramms sorgen für Festival-Atmosphäre. Die Teilnehmer sollen sich als Künstler fühlen und auch im Falle eines Misserfolgs nicht nur Enttäuschung mit nach Hause nehmen.
Eine absolut hundertprozentige Objektivität und Gerechtigkeit wird es nie geben in der Kunst. Dafür ist Kunst auch nicht da.
Anders positioniert hat sich die, im Frühjahr 2019 als "Einladungsturnier" ohne vorgeschaltetes Bewerbungsverfahren veranstaltete, First China International Music Competition. Für Aufhorchen sorgte dort eher das exorbitant hohe Preisgeld als das künstlerische Ergebnis. Letzteres wäre für die Zukunft dieses Wettbewerbs vermutlich wichtiger gewesen, als dem Sieger 150.000 US-Dollar zu geben. Dennoch werden sich die Koordinaten – das zeigen auch die europäischen Wettbewerbe der letzten Jahre – weiter in Richtung China verschieben. Das Land der 40 Millionen Hobby-Pianisten gilt als der Zukunftsmarkt für Klassische Musik.
Joë Christophe bekam dieses Jahr den 1. Preis im Fach Klarinette beim ARD-Musikwettbewerb. Sein Lehrer Philippe Berrod saß in der Jury. | Bildquelle: Daniel Delang Das Dilemma aller Wettbewerbe ist das praktisch unvermeidliche Zusammentreffen von Jury-Mitgliedern, bei denen es sich in der Regel ja auch um begehrte Lehrer handelt, mit Kandidaten aus dem eigenen Schülerkreis oder dem bekannter Kollegen. Welche Strategien es gibt, unbefangene Entscheidungen und möglichst gerechte Ergebnisse herbeizuführen, auch dieser Frage geht das BR-KLASSIK-Musik-Feature nach. Für Wettbewerbe sei es eine Frage des Überlebens, sagt Arie Van Lysebeth. Letztlich aber gilt, was Markus Groh, wettbewerbserfahren als Preisträger und Juror, so formuliert: "Eine absolut hundertprozentige Objektivität und Gerechtigkeit wird es nie geben in der Kunst. Dafür ist Kunst auch nicht da."
Sendung: "Leporello" am 29. Oktober 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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