Seit 1993 stand kein Sologitarrist mehr auf der Bühne des ARD-Musikwettbewerbs. Das Interesse an dem Fach sorgt schon in der Vorrunde für enormen Zuschauerandrang, der die Wettbewerbsteilnehmer noch zusätzlich anspornt. René Gröger hat für BR-KLASSIK die Stimmung hinter den Kulissen erkundet.
Bildquelle: BR/Lisa Hinder
Als ich am ersten Wettbewerbstag für ein kurzes Interview in das Probenzimmer von Zsombor Sidoo eintrete, sitzt der junge Ungar gerade auf einem schwarzen Lederhocker und stimmt seine Gitarre. Seine Hände zittern leicht, nervös blickt er unter seinen zur Seite gebürsteten Haaren in meine Richtung. Der junge Ungar muss gleich raus ins Scheinwerferlicht und sich der Jury und dem Publikum präsentieren. Seit 1993 stand kein Sologitarrist mehr auf der Bühne des ARD-Musikwettbewerbs. Das Interesse an dem Fach ist entsprechend groß. Aufgrund des Andrangs endet der Vormittag im BR-Funkhaus für einige der Gäste vor verschlossenen Konzerttüren. Bernadino Rodriguez Espejo nimmt selbst am Wettbewerb teil und konnte einen Platz im Studio 2 ergattern. Jetzt verfolgt er aufmerksam, wie seinem Mitstreiter Zsombor Sidoo vor Konzentration die ersten Schweißperlen über die Stirn kullern. Zsombors rechter Fuß ist durch eine kleine Metallbank erhöht, das linke Bein mit einem rutschfesten Tuch bedeckt: typische Utensilien für die Instrumentalisten.
Immer wieder schaut Bernadino im Publikum um sich, als versuche er, die Gedanken der Zuhörer zu erahnen. Mit seinen kurz geschnittenen schwarzen Haaren und dem legeren Polohemd fällt der Mexikaner eigentlich kaum auf. Nur der Gitarrenkoffer, den er bei seiner Ankunft noch auf dem Rücken geschnallt hatte, "verrät" ihn. Samt Gepäck ist er nach seiner Ankunft in München schnell vom Hauptbahnhof zum Bayerischen Rundfunk gehetzt, um den Auftakt seines Fachs nicht zu verpassen. Und er ist überwältigt von den vielen Zuhörern, die von Anfang an mitfiebern.
Der Gitarrist Zsombor Sidoo (Ungarn) während des ARD-Musikwettbewerbs im Studio 2 im Funkhaus des Bayerischen Rundfunks in München | Bildquelle: BR/Lisa Hinder Zsombor Sidoo sieht das ähnlich. Nach seinem Vorspielen treffe ich ihn noch einmal im Solistenzimmer. Die Anspannung ist der Erschöpfung gewichen, doch Zsombor ist spürbar entspannter. Wir plaudern etwas. Für ihn sei dieser Wettbewerb vor allem eine Möglichkeit, Werbung für die Klassische Gitarre zu machen, sagt er. In diesem Punkt sind sich die Gitarristen einig. Im Laufe des ersten Durchgangs spreche ich mit verschiedenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, und sie alle betonen, dass sie im Wettbewerb vor allem die Chance sehen, das Instrument in seiner Vielfalt und seinem Facettenreichtum zu präsentieren. Denn die Gitarre sei in der klassischen Musik und im Orchester eindeutig unterrepräsentiert. Daher gebe es auch einen starken Zusammenhalt untereinander: Gemeinschaft statt Konkurrenz.
Der Wettbewerb ist eine Möglichkeit, Werbung für die Klassische Gitarre zu machen.
Das Programm bietet viele Möglichkeiten, um ein Porträt der Gitarre mit ihren verschiedenen Klangfarben zu malen: Pedro Rogério Aguiar Silva aus Brasilien setzt die Gitarre in "Ritmata" von Edino Krieger zum Beispiel als Perkussionsinstrument ein. Die 18-jährige Laura Lootens spielt verträumte Flageolettöne ab und reibt mich dann mit kraftvoll gespieltem Tremolo auf, bei dem die Gitarre plötzlich fast wie eine Mandoline klingt. Dmytro Omelchack spielt die Flamenco-durchsetzte Fantasie "Sevillana" von Joaquin Turina.
Der Gitarrist Dmytro Omelchak (Ukraine) während des ARD-Musikwettbewerbs in einem Proberaum im Funkhaus des Bayerischen Rundfunks in München | Bildquelle: BR/Lisa Hinder Ich treffe Dmytro Omelchak als er sich gerade auf seinen Auftritt vorbereitet. Mit verschmitztem Grinsen sitzt der Ukrainer da - lässig in Turnschuhen und T-Shirt. Im ersten Moment stutze ich: Möchte er etwa so auf die Bühne? Das nenne ich mal progressiv! Dmytro winkt ab und zeigt auf eine Tasche, die sich versteckt hinter der Tür befindet. Darin befindet sich sein Anzug. Frisch polierte Lederschuhe hat er natürlich auch dabei und holt sie aus seinem Rucksack. Dann greift er noch einmal tief hinein und zieht ein kleines Täschchen hervor. Darin befinden sich unverzichtbare Utensilien für jeden Klassischen Gitarristen: Nagelfeile und Schleifpapier. Mehrmals täglich schmirgelt sich Dmytro damit seine Fingernägel, um den Idealklang auf den Saiten zu erzielen. Falls der Nagel mal reißt und zu kurz ist, behilft er sich mit einem ungewöhnlichen Hilfsmittel: einem Tischtennisball. Das Material des Balls ist ungefähr so dick wie ein Nagel. Wenn Dmytro ihn zerschneidet und sich ein passendes Stück unter den kaputten Nagel klebt, ist der Auftritt gerettet.
Ich bin fasziniert von so viel Erfindergeist. Gleichzeitig belustigt es mich etwas, dass ausgerechnet bei einem so männlich dominierten Instrument, intensive Maniküre essentiell ist. Als ich mit Bokyung Byun über diesen Kontrast der Klischees spreche, schenkt sie mir ein süffisantes Lächeln. Die Südkoreanerin ist eine von nur neun weiblichen Gitarristen im Wettbewerb. Sie möchte deshalb besonders selbstbewusst auftreten, um die männliche Vormachtstellung aufzulösen. Als Asiatin sei sie ja sowieso schon eine Exotin am Instrument, sagt sich lachend. Dann marschiert sie entschlossen in Richtung Bühne, um sich der Jury zu stellen.