Schon die erste Runde im Fach Klavier verlangt von den Teilnehmern beim ARD-Musikwettbewerb heuer die Interpretation auch zeitgenössischer Komponisten. Eine besondere Herausforderung - die Anspannung ist dementsprechend hoch. Für BR-KLASSIK hat Konrad Bott einige Pianisten nach dem ersten Auftritt noch in deren Solistenzimmern besucht.
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Nervös tritt Fabian Müller von einem Bein aufs andere. "Glaubst du, das ist sehr aufgefallen beim Scarlatti?" "Was meinst du?", frage ich zurück. "Na, dass ich acht Takte der Wiederholung einfach ausgelassen habe. Oh Gott, ich war so aufgeregt!" Fabian wischt sich mit dem Hemdsärmel vorsichtig über die schweißnasse Stirn. In seinen Augen meine ich, noch das helle Licht der Scheinwerfer glimmen zu sehen. Seine Frage kann ich mit Nein beantworten. Der freundliche Hühne nickt, scheint aber nicht wirklich beruhigt. Auf der Bühne hat man von seiner Aufregung nichts mitbekommen. Derart überzeugend war die Souveränität, die der junge Pianist dort ausgestrahlt hat - vor einer siebenköpfigen Jury, der nichts zu entgehen scheint und einem gebannt lauschenden Publikum.
Bildquelle: BR/Lisa Hinder Längst nicht jedem gelingt es so gut, einen Ausrutscher, und sei er auch noch so klein, in den Griff zu bekommen. Die Nerven der Teilnehmer müssen beschaffen sein wie die Saiten im Flügel: Stählern und doch irgendwie flexibel. Da hilft es ihnen, dass der Ablauf des Wettbewerbs so gut geplant und für die Betreuung der Musiker bestens gesorgt ist. Keine Stolpersteine - weder auf, noch hinter der Bühne, dank des Organisationsteams. Paula Lagoda verbringt einen Teil ihrer Ferien damit, die Künstler von den Einspielräumen auf die Bühne zu geleiten. "Ich hab selber mal angefangen, Klavier zu spielen. Also ganz früher. Aber ich war ein hoffnungsloser Fall", meint die Elftklässlerin. Dabei blickt sie vorsichtig durch das kleine Fenster der schalldichten Tür zur Bühne. Am Flügel sitzt dort jetzt Cristian Ioan Sandrin aus Rumänien. Gerade beendet er das Stück von Sciarrino, das er für den ARD-Musikwettbewerb ausgewählt und mitgebracht hat. Als er sich verneigt, wirkt er geschlaucht, ein wenig abwesend. Am nächsten Tag erfahre ich, dass er nach Hause fahren muss: nicht weitergekommen.
Es ist nicht nur ein Wunsch, dass mehr neue Musik gespielt wird, sondern eine Notwendigkeit.
"Ob ich mitfiebere? Bei jedem einzelnen", sagt Tamara Stefanovic. Die Jurorin gehört zu der Sorte von Jurymitgliedern, von denen man sich gerne Kritik anhört - und sei sie noch so hart. Von dem Zeitdruck und der Verantwortung, die auf der Jurorin lasten, merkt man kaum etwas. Professionelle Routine? "Es gibt oft den Fall, dass du ein Talent siehst, aber sofort merkst: schlechter Tag heute. Das tut mir so leid. Aber man bewertet in dem Fall immer diese Momentaufnahme. Das muss man ja, das wird später auch so sein." Die Vorspiele finden im bestuhlten Studio Eins im BR-Funkhaus statt. Ganz hinten, auf einem schwarzen Podest sitzen die Jury-Mitglieder, jedes ihrer Gesichter ist weiß von einer Tischlampe angestrahlt. Tamara Stefanovic ist froh über die Zusammenstellung der Kollegen in diesem Jahr: "Es ist wirklich eine angenehme Jury. Ich kann es nicht leiden, wenn da irgendwelche Gurus sitzen, die selbst gar nicht mehr spielen und dann diese jungen Menschen bewerten."
Den Vorsitz der Jury hat der italienische Pianist Bruno Canino inne, dessen Vorliebe für zeitgenössische Musik bekannt ist. Schon in der ersten Runde muss ein Werk von Györgi Ligeti, Jörg Widmann, Pierre Boulez oder Elliot Carter gespielt werden. Das ist seinem Einfluss bei der Planung zuzuschreiben. Dass das gut und wichtig ist, steht für Tamara Stefanovic außer Frage: "Es ist nicht nur ein Wunsch, dass mehr neue Musik gespielt wird, sondern eine Notwendigkeit. Es gibt ja zum Glück lebende Komponisten und wir, die Interpreten, sollten deren Werke spielen. Ich habe ja ein wenig die Vermutung, dass kurzfristig noch so viele Pianisten abgesprungen sind, weil sie das Auftragswerk von Paul Dusapin nicht spielen können oder wollen. Dann bin ich aber ehrlich gesagt froh, dass sie nicht zugesagt haben. Das klingt hart, ich weiß, aber sowas sollte man können.“
Bildquelle: BR/Lisa Hinder Tatsächlich sind von den 60 zugelassenen Bewerbern dann doch nur 34 zum Wettbewerb angereist. Für den Japaner Keiichiro Ikebe war der Weg nicht sehr weit: Er studiert an der Münchner Musikhochschule. Schüchtern und in gebrochenem Englisch erklärt er: "Ich glaube, für meinen Kopf sind diese zeitgenössischen Kompositionen manchmal zu viel. Ich verstehe vieles davon nicht." Er legt einen Finger an die Wange, schweigt einen Moment. Plötzlich bricht es aus ihm heraus: "Aber es ist wichtig, dass wir neue Sachen spielen. Zu Mozarts Zeit wurde auch Mozart gespielt. Und bestimmt fanden das Viele damals auch komisch."