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Bayreuther Festspiele

24. Juli - 27. August 2024

Waltraud Meier letztmalig in Bayreuth "Ortrud ist sehr politisch"

Im diesjährigen Bayreuther "Lohengrin" singt Waltraud Meier die Ortrud. Es wird ihr letzter Auftritt auf den Festspielen sein. Im Interview spricht sie über die Figur der Ortrud, die Inszenierung von Yuval Sharon – und über Wagners Frauenbild.

Bildquelle: © Nomi Baumgartl

Waltraud Meier im Bayreuther "Lohengrin"

"Ortrud ist sehr politisch"

BR-KLASSIK: Mit der Partie der Sieglinde haben sie im Jahr 2000 als Partnerin von Plácido Domingo Abschied von Bayreuth genommen. Achtzehn Jahre Bayreuth-Abstinenz folgten, und jetzt sind Sie wieder da. Hat Ihnen Bayreuth in der Zwischenzeit gefehlt?

Waltraud Meier: Nein. Ich war sehr viel unterwegs auf den anderen Festivals und ich habe festgestellt: Man macht auch woanders sehr gut Theater. (lacht)

Ortrud ist nicht nur die Böse. Sie ist auch hilfreich für Elsa
. Waltraud Meier zur Figur der Ortrud im Lohengrin

BR-KLASSIK: Das mag sein. Und nun sind Sie wieder zurückgekehrt an diesen Ort – mit Ortrud im Gepäck, der Gegenspielerin von Elsa. Das ist eine Rolle, die Sie sich seit vielen Jahren einverleibt haben. Wie ist Ihre Sicht heute auf diese dämonische Frau?

Waltraud Meier: Ich sehe sie eigentlich wesentlich mehr als Gegenspielerin Lohengrins, weil es da doch um verschiedene Prinzipien geht: einerseits Lohengrin, der das göttliche Prinzip vertritt, den absoluten Glauben, und Ortrud, die Selbstbewusstsein zeigt und einfordert, eben nicht alles hinzunehmen. Insofern ist Ortrud auch hilfreich für Elsa – dass Elsa eben auch zu einer selbstbestimmten Frau wird. Deswegen verkörpert für mich Ortrud nicht nur die Böse – in diese Schublade wird sie ja gern gesteckt –, sondern sie ist durchaus notwendig, um zu einem Reifeprozess zu kommen.

Das göttliche Prinzip zieht sich zurück

BR-KLASSIK: Das ist ja auch eine Sicht des Regisseurs Yuval Sharon, der ja in einem Interview sagte, dass es im Grunde diese Erkenntnis brauchte, damit Elsa durch Ortrud einen Reife- und einen Begreif-Prozess durchmachen kann. Aber was hilft ihr dieser Prozess? Sie bezahlt am Ende mit ihrem Leben.

Waltraud Meier: Na ja, es ist nicht so ganz klar, ob sie mit dem Leben bezahlt. Man weiß nicht, wie es weitergeht. Es hört halt einfach in diesem Moment auf, wo eine neue Ära beginnt, und im Grunde bleibt einiges offen: Wie geht es weiter? Wird sie davon profitieren? Man weiß nur, das göttliche Prinzip zieht sich wieder zurück aus der Welt. Es wird klar, dass man den Anspruch des absoluten Glaubens nicht stellen kann, aber wie die anderen Protagonisten damit umgehen, das bleibt ein bisschen offen.

Ortrud ist eine politische Frau

BR-KLASSIK: Die große Szene im zweiten Akt: Ortrud schleicht sich an Elsa heran, spielt ihr vor, sie sei ihre Vertraute und Freundin. Welche intriganten Facetten müssen Sie auf der Bühne in Ortrud freilegen, um sie auch in dieser Vielschichtigkeit darzustellen?

Mezzosopranistin Waltraud Meier | Bildquelle: © Nomi Baumgartl Bildquelle: © Nomi Baumgartl Waltraud Meier: Ich glaube es ist gar nicht so viel Intriganz dabei, sondern durchaus ehrliche Absichten für sie selbst, also egoistische Absichten. Und mit welchen Mitteln geht man da am besten vor? Indem man der Anderen, also Elsa, sagt: Hör mal, du rennst in dein Unglück, wenn du das einfach alles akzeptierst und nicht nachfragst. Intriganz wäre so klein, und sie ist nicht klein. Sie ist sehr politisch. Und sie ist ja das, was Wagner über sie sagte: eine furchtbare Frau, weil sie die Liebe nicht kennt und weil sie eine politische Frau ist.

Für Wagner war es wichtig, dass Frauen ihn als Künstler bewundert haben.
Waltraud Meier

BR-KLASSIK: Das sind die zwei Archetypen in Wagners "Lohengrin": Elsa, die zumindest anfänglich sehr Naive – was dem Frauenbild Wagner sicherlich eher entsprach als die aufgeklärte Aufrührerin Ortrud. Ist das – im Spannungsfeld dieser beiden Frauen – eine Manifestation des Wagner'schen Frauenbildes?

Waltraud Meier: Ich glaube, für ihn war es auch immer sehr wichtig, dass Frauen widerspruchslos alles bewundert und akzeptiert haben – auch ihn als Künstler. Ich glaube, das spielt auch eine große Rolle.

Freiheiten müssen begründet sein

BR-KLASSIK: Auf jeden Fall sind Sie eine ausgesuchte Spezialistin im Wagner-Fach. Das heißt, man kann Ihnen in diesen Partien kein X für ein U vormachen. Wie offen sind Sie für die unterschiedlichen Sichtweisen von Regisseuren?

Waltraud Meier: Ich bin sehr offen. Aber es muss im Text begründet sein. Entweder im musikalischen Text – das allerdings sehe ich immer weniger und weniger. Aber dann zumindest im geschriebenen Text: Wenn da wirklich alle Gründe enthalten sind, weswegen man etwas auf der Bühne zeigt, dann bin ich vollkommen dafür und freue mich, neue Ideen zu bekommen.

BR-KLASSIK: Und die Inszenierung von Yuval Sharon – kommt sie Ihrer Idee und dieser Offenheit entgegen?

Waltraud Meier: Ich kann mich drin finden. Ja.

Die allerletzte Ortrud

BR-KLASSIK: Achtzehn Jahre Bayreuth-Abstinenz – jetzt sind Sie wieder da. Dürfen wir uns auf Sie auch zukünftig als "Wiederholungstäterin" freuen?

Waltraud Meier: Nein, auf keinen Fall. Ich habe ja mit den anderen großen Partien – Kundry, Isolde, Sieglinde, Fidelio – bereits abgeschlossen. Und das wird in diesem Jahr meine allerletzte Ortrud.

Sendung: "Allegro" am 23. Juli 2018 ab 6:05 Uhr in BR-KLASSIK

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