Während sich gerade die Nachricht verbreitete, dass der polnische Tenor Piotr Beczala in der Bayreuther "Lohengrin"-Neuproduktion die Titelrolle übernehmen wird, saß unsere Autorin bei dem Bayreuther Musikdirektor Christian Thielemann. Der hat schon 2016 mit Beczala als Lohengrin gearbeitet, in einer vielbeachteten Produktion mit Anna Netrebko als Elsa. Ein Gespräch über eine Traumbesetzung, Tenöre aus "südländischen Gefilden" und Sängerentscheidungen nach dem Motto "machen wir das doch einfach mal".
Bildquelle: Staatskapelle Dresden / Matthias Creutziger
Das Interview mit Christian Thielemann zum Anhören
BR-KLASSIK: Während wir hier reden, ist gerade bekannt geworden, dass der – ich sage ganz bewusst nicht Ersatz, sondern der Nachfolger – von Roberto Alagna der Tenor Piotr Beczala wird. Sie haben mit ihm den Lohengrin schon gemacht. Wie sehr freuen Sie sich auf diese Arbeit jetzt, wie glücklich sind Sie im Moment?
Christian Thielemann: Ich glaube, es ist ein Glückstag heute. Zuerst war es ein Schreckenstag. Der Tenor sagt ab, der vorgesehene, und ich hatte natürlich sofort eine Telefonnummer, die ich gewählt habe. Die wählte ich auch an – und ich bekam leider von der anderen Seite gesagt: 'Es gibt überhaupt keine Möglichkeit. Ich bin so voll, dass ich nicht weiß, wie ich es machen soll. Es geht gar nicht.'
Mensch, der hat doch eigentlich das Potenzial für Lohengrin.
Seinerzeit mit Piotr Beczala in Dresden – ich glaube, das war eines der wenigen Male in meinem ganzen Dirigentenleben, wo ich einen Sänger zu einer Partie überzeugt habe. Das habe ich nie zuvor gemacht.
Piotr Beczala und Anna Netrebko in "Lohengrin", 2016 an der Dresdner Semperoper – Dirigent: Christian Thielemann | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Und ich habe ihn einmal gebeten, hier zu einer Arbeitsprobe zu kommen. Wir hatten Operette in Dresden gemacht und andere Dinge. Und ich hatte in München mit ihm schon mal Strauss-Lieder mit Orchester gemacht. Und ich hab' immer gedacht: Mensch, der hat doch eigentlich das Potenzial für Lohengrin.
Dann hab ich mal mit ihm drüber gesprochen und er sagte dann immer: 'Nein, nein, ich hab' das Gefühl, ich mach mir die Technik kaputt.' Und dann kam er vor einigen Jahren her und wir sind weit entfernt vom Festspielhaus – keiner hat uns gesehen, damit auch keine falschen Gerüchte aufkommen – in die andere Probebühne gegangen, ich habe am Klavier gesessen und er hat in der großen Halle gesungen. Und je mehr der gesungen hat, war mir klar: Ich glaube, genau das ist es.
Weiter kann man nicht mehr kommen.
Also lag jetzt für mich nichts näher, als ihn zu fragen. Nun können Sie sich vorstellen, was das bedeutet. So kurzfristig jemanden loszueisen.
Der neue Bayreuther Lohengrin: Piotr Beczala | Bildquelle: Johannes Ifkovits
Man kann nur allen Beteiligten sehr, sehr danken. Auf der anderen Seite habe ich mir auch gedacht: Wissen Sie, das Bayreuther Festspielhaus, die Eröffnung, die Neuproduktion, diese Rolle. Ich weiß nicht, wie weit man im Leben kommen möchte. Weiter kann man nicht mehr kommen.
Man sagt nichts gegen Wien und nichts gegen die Met und nichts gegen die Mailänder Scala. Also wirklich nichts. Aber in Bayreuth den Lohengrin, in einer Neuproduktion, und dann bitte: mit den Partnerinnen und Partnern, die er hat? Insofern finde ich das jetzt schön. Man ist sehr glücklich. Und nun ist er da und vor allen Dingen für den Regisseur ist es auch wichtig, dass er nun endlich einen Lohengrin hat. Wissen Sie, dass man jetzt mal in Ruhe arbeiten kann.
Ich hab' sowas auch noch nicht erlebt.
BR-KLASSIK: Reden wir trotzdem noch einmal kurz über Roberto Alagna, dem am 29. Juni aufgefallen ist, dass er überfordert ist mit dieser Partie, nachdem er drei Jahre Zeit hatte zu proben. Da muss man sich schon die Frage nach der Professionalität stellen, oder?
Christian Thielemann: Ich hab' so was auch noch nicht erlebt. Ich kenne eigentlich an den Theatern, an denen ich die Freude habe zu arbeiten, nur wohlvorbereitete Sänger. Also ich weiß, dass Sänger manchmal zu Proben kommen und sie sind noch nicht ganz studiert. Das ist leider hin und wieder der Fall, weil man dann auch zwischendrin mal krank war oder so etwas. Aber dafür gibt es ja ein Heer von Korrepetitoren, die bei leichten Gedächtnislücken wahnsinnig gut helfen können. Dazu haben wir ausgezeichnete Souffleusen, die auch Einsätze geben. Da kann sogar hier in Bayreuth noch jemand neben mir sitzen, sogar mitdirigieren – das wäre alles kein Problem gewesen. Aber danach muss man ihn fragen – ich weiß es nicht.
Dann machen wir das doch einfach mal.
BR-KLASSIK: Wenn wir vorher auf diesen Besetzungszettel geschaut haben, ist der Name Alagna für uns aus dieser wahnsinnigen Solistenriege, Wagner-erprobten Solistenriege, auch ein bisschen rausgefallen. Wie sehen Sie das jetzt im Nachhinein?
Christian Thielemann: Nein, ich muss sagen: Ich fand immer, dass es eine tolle Farbe ist, bei so einem Stück wie dem Lohengrin jemanden zu haben, der aus einem anderen Kulturkreis stammt.
Hat zwei Tage vor Probenbeginn in Bayreuth hingeschmissen: Roberto Alagna | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Und er wollte es ja unbedingt singen, er hat ja gesagt, er wolle unbedingt den Lohengrin machen, wir haben ihn ja nicht gezwungen – und denken Sie, es hat viele gegeben: Auch Domingo hat das gesungen, ich glaube, Ramón Vinay hat das gesungen ...
Es haben sich hin und wieder Tenöre aus den südländischen Gefilden in das Lohengrin-Abenteuer gestürzt. Warum eigentlich nicht. Und wir haben gedacht, das wäre mal eine ganz neue Farbe, und wenn sie dann jemand haben, der das unbedingt tun will, dann sagt man: Das ist doch herrlich. Dann machen wir das doch einfach mal.
Die Dinge, die in Bayreuth manchmal so passieren. Sie sehen ja, da gibt es dann Absagen, und da muss man einfach professionell darauf reagieren.
Sendung: "Allegro" am 5. Juli 2018, 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK.
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