Er ist ein Musiker mit völlig eigenem Ton. Der amerikanische Gitarrist und Komponist Ralph Towner, nicht zuletzt bekannt durch die stilistisch weit offene Band "Oregon", ist am 1. März 80 Jahre alt geworden.
Bildquelle: picture-alliance/dpa
Er hat schon früh das erreicht, worauf jeder Musiker stolz wäre: einen ganz eigenen Klang zu formen. Wer auch nur wenige Töne von Ralph Towner gehört hat, zumal solche, die der Musiker auf einer klassischen Nylonsaiten-Gitarre spielt, dürfte ihn beim nächsten Mal sofort wiedererkennen. Ralph Towner, ein mittlerweile weißhaariger, freundlicher Wuschelkopf mit inzwischen auch lichten Stellen auf dem Haupt, ist ein Meister des Erzählens auf dem Instrument. Wenn er Solo-Konzerte gibt, sitzt er - meist in unspektakulär-bequemem, grauem oder blauem Alltags-Jackett und Jeans - auf einem Klavierschemel, den linken Fuß auf einer Gitarristen-Fußstütze aufgesetzt, wie man sie eigentlich nur aus klassischen Musik kennt, und versenkt sich ganz und gar ins Spiel. Er wirkt dabei wie jemand, der für sich allein ist, scheint ganz einzutauchen in die Musik und das Publikum zu vergessen, während er die Töne singen und in weiten Bögen schweifen lässt. Denn Towner, der in Auftritten meist Eigenkompositionen und einige wenige Jazz-Klassiker spielt, schöpft auch bei solchen Auftritten viel aus dem Moment: In den Stücken gibt es viele Freiräume für Improvisationen, in diesem Fall sind das freie Variationen eines Themas über feststehenden Harmonien, und seine Zuhörer lauschen besonders gespannt auf die Momente, in denen die Stücke sich vom Niedergeschriebenen lösen.
Es hat eine ganz eigene Faszination, wenn Ralph Towner spielt. Denn seine Art der Interpretation könnte man als Lehrbeispiele für die Verlebendigung von Tönen nehmen. Towner hat einen wachen Sinn für das richtige Tempo, in dem Stimmen genug Luft haben, sich auszuprägen, und dennoch eine mitreißende Spannung entsteht. Es ist, als sitze jemand mit anderen zusammen und erzähle Geschichten - mit dem Gespür für die plastische Charakterisierung von Figuren, die darin vorkommen, und dem Händchen fürs Innehalten im richtigen Moment. Im November 2019, als Towner bei einem Festival in Neuburg an der Donau auftrat, das vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet wurde, zog er in einem BR-Interview einen ähnlichen Vergleich: Theaterstücke stelle er sich vor, wenn er spiele, und darin gebe es Handlungen und Dialoge in unterschiedlichen Temperamenten. Diese Vorstellungskraft teilt sich auch mit: Das Publikum erlebt bei Ralph Towner Musik, die völlig vom Papier gelöst ist.
Ralph Towner sagt: "Wenn man gut spielt, dann wird der Zuhörer nicht merken, wo die Komposition aufhört und die Improvisation beginnt. Die Improvisation ist eine Weiterentwicklung der Grundgedanken. Anfangs treten Figuren auf, das ist, wenn das Thema gespielt wird, und danach entwickelt sich eine Geschichte. Das ist dann die Improvisation. Bei der Improvisation ist es mir wichtig, nah am Thema oder an der Stimmung des Themas zu bleiben; wenn ich mich zu weit entferne, ist der Zusammenhang der Story gefährdet. Und beim Spielen schweife ich nicht so weit ab wie normalerweise beim Reden."
Ralph Towner wurde am 1. März 1940 im Staate Washington geboren. Seine Mutter war Klavierlehrerin, sein Vater Trompeter. Mit sieben lernte er Trompete, auf dem Klavier hatte er schon früh herumprobiert, dieses Instrument studierte er Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre dann auch an der University of Oregon im gleichnamigen Bundesstaat im Westen der USA. Danach ging er nach Wien, um an der Universität für Musik und darstellende Künste Gitarre zu studieren - und zwar bei Professor Karl Scheit, dessen Einfluss Towner in Gesprächen noch heute hervorhebt.
Im Jahr 1970 gründete Towner mit anderen Kollegen eine Band, die ganz neue Klänge schuf und mit der er und seine Musik berühmt wurde: Diese Band hieß - und heißt heute noch - Oregon wie der Bundesstaat, in dem sie entstand, und sie schuf eine nie vorher so organisch aufgetretene Mischung aus Jazz, klassischer Musik und Folk-Musik unterschiedlicher Herkunft. Zwei der Musiker hatten sich einst an der University of Oregon kennengelernt. In dieser Band trafen Musiker mit sehr unterschiedlichen Horizonten zusammen, was sie nutzten, um gemeinsam eine besondere Weite der Möglichkeiten zu schaffen. Es waren der Bassist Glen Moore, der Sitarspieler und Perkussionist Collin Walcott (der 1984 auf einer Tournee mit Oregon bei einem Autounfall tödlich verunglückte), und der Blas-Instrumentalist Paul McCandless, der Oboe, Englischhorn, Saxophon und Klarinette spielt. "Music of Another Present Era" (Musik einer anderen gegenwärtigen Zeit) hieß denn auch das Album, mit dem die Gruppe Oregon 1972 den Horizont der eigenen Musik absteckte, die sich mit feinen Tönen über Stile und Zeiten hinwegsetzte. Oregon existiert nach einigen Umbesetzungen noch immer - mit Ralph Towner und Paul McCandless an der Spitze. Dreißig Alben hat sie inzwischen veröffentlicht.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
" If " - Oregon (2009)
Die Band Oregon ist nur eine der vielen musikalischen Formationen, die Ralph Towner für seine Musik nutzt. Allein bei dem in München ansässigen, weltweit renommierten Label ECM hat Ralph Towner seit 1973 in sehr unterschiedlichen Kombinationen Alben aufgenommen: ob mit Vibraphonist Gary Burton (unter anderem "Matchbook" von 1975), mit Gitarrist John Abercrombie (unter anderem "Sargasso Sea", 1976), mit Saxophonist Jan Garbarek, Bassist Eberhard Weber und Schlagzeuger Jon Christensen ("Solstice / Sound and Shadows", 1977), mit Bassist Gary Peacock (unter anderem "A Closer View", 1995), mit Trompeter Paolo Fresu ("Chiaroscuro", 2009), dazu auch Trio-Musik mit den beiden Gitarren-Kollegen Wolfgang Muthspiel und Slava Grigoryan - mit denen er das hervorragende Ensemble MGT bildet; von MGT gibt es bei dem Label ECM unter anderem das Album "Travel Guide" von 2013.
Ralph Towners Kompositionen kursieren auch in Notenausgaben für klassische Gitarristen und zeichnen sich durch eine besondere Sinnlichkeit im Umgang mit dem Instrument aus. Towner nutzt die Klangmöglichkeiten der Gitarre auf lyrische und zugleich zupackende Art. Seine Musik ist dabei eine, die einen Kreis über die Jazz- und Gitarrenspezialisten hinaus anspricht: zumeist sehr melodiös, oft lyrisch, aber auch mit Sinn für kantige Rhythmen und für Drive. Eines seiner Meisterstücke ist das Stück "In Stride" (auf dem Album "From A Dream" von MGT, beim Label material records), in dem er eine schreitende Bewegung durch lauter akzentuiert angeschlagene Dur-Akkorde und ihre Umkehrungen schafft - ganz bewusst verzichtet er darin auf durch Terzschichtungen angereicherte, typische Jazz-Harmonien. Eine andere herausragende Komposition heißt "Anthem" und baut sich im Thema über sehr vielen Quarten und Quinten auf, also Zusammenklängen, die hier bewusst leer oder auch hohl erscheinen, weil sie neutral zwischen Dur und Moll stehen - und die in diesem packenden Stück, das Towner oft solo spielt, einen sehr weiten Raum öffnen, den die Stimmen dann in großen Ausdrucksbögen füllen.
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Ralph Towner - Anthem~Nardis(Live in Korea)
Da Ralph Towner musikalische Abwechlsung schätzt, ist er in vielen Aufnahmen eben nicht ausschließlich auf der Nylonsaiten-bespannten, klassischen Konzertgitarre zu hören, sondern auch auf einer zwölfsaitigen Westerngitarre und nicht zuletzt auch häufig am Klavier. Sein Publikum identifiziert den Musiker besonders mit der akustischen Gitarre - dem Instrument, das er besonders spät lernte. Im ausführlichen BR-Interview in Neuburg an der Donau im Herbst 2019 erzählte Towner auch sehr launig davon, wie er den Weg zur Gitarre fand. Nach seiner eingehenden Beschäftigung mit Trompete und Klavier habe er gemerkt, dass er sich mit diesen Instrumenten den Lebensunterhalt nicht werde verdienen können - vor allem mit dem Klavier, denn es schon damals gab es so viele starke Jazzpianisten, denen er, wie er sagt, kaum hätte Konkurrenz machen können. Da entschloss er sich dann, die Gitarre zu vertiefen. Er hatte keine familiären Verpflichtungen, seine Eltern waren schon verstorben, so entschloss er sich nach Wien zu gehen, um dort dieses Instrument bei Professor Karl Scheit zu studieren. Towner hatte ein kleines Zimmer im 17. Bezirk, zweimal pro Woche nahm er Unterricht in einer Gruppe mit anderen. Er übte wie ein Besessener, bis zu zehn Stunden am Tag schloss er sich dazu in seinem Zimmer ein. Denn er wusste, wenn er sich jetzt nicht richtig anstrengen würde, dann wäre alles verlorene Zeit, und er hätte ein weiteres Instrument, auf dem er keine Karriere aufbauen könnte. Ralph Towner: "Man musste schon ein bisschen verrückt sein, um das zu tun". Aber ohne das gäbe es eine sehr bemerkenswerte Musik überhaupt nicht. Vielen Dank für die Verrücktheit und herzlichen Glückwunsch!
29. Februar 2020: Jazz und mehr
Der Weite: Musik von und mit Gitarrist und Komponist Ralph Towner, der am 1. März 2020 achtzig Jahre alt wird. Weitere Interpreten: Oregon, Paolo Fresu und Augustin Wiedemann.
Moderation und Auswahl: Roland Spiegel