Der BMW Welt Jazz Award 2019 findet unter dem Motto "Saxophone Worlds" statt. Im Zeitraum vom 27.Januar bis 24.März traten dabei sechs ganz unterschiedliche Saxophonistinnen und Saxophonisten auf. Hier unser BR-KLASSIK-Tagebuch vom Wettbewerb in dem Sie immer aktuelle Eindrücke zu den Konzerten finden.
Bildquelle: Rainer Haeckl
Damit werben Hersteller von Wellness- und Gesundheitsprodukten: das Mehr an Power, an Lebenskraft, an Vitalität.
Eigentlich sollte Rudresh Mahanthappa in den Flyern für seine Konzerte darauf hinweisen: Hier gibt es die Extraportion Energie.
Was der US-Saxophonist mit indischen Wurzeln, geboren im italienischen Triest, am Sonntagmorgen des 24. März in der Münchner BMW Welt auf die Bühne zaubert, geht direkt durch die Ohren ins Herz oder in die Glieder. Manchmal möchte man fast aufspringen und einen sicher etwas komisch anmutenden Freudentanz aufführen.
Das Verblüffende dabei, Mahanthappas Musik ist eigentlich ungemein komplex und vertrackt. Sein Projekt "Bird Calls" ist inspiriert vom legendären Bebop-Erfinder, dem Altsaxophonisten Charlie "Bird" Parker. Mahanthappa hat Kompositionen geschrieben, die Bezug auf Parkers Stücke oder berühmte Soli des Saxophonisten nehmen. Allerdings erkennen selbst die erfahrensten Fans nur schwer die Bezugspunkte. Aber das muss man gar nicht, und genau das macht Mahanthappas Musik so stark. Sie kommt überhaupt nicht verkopft und papieren rüber. Sie trifft direkt das Zentrum der Emotionen, zusätzlich befördert durch Mimik und Körpersprache der fünf Musiker.
Sie alle lächeln! Sie erfreuen sich an ihrer Musik, an der Kommunikation, an dem Miteinander, an dem Risiko, dass sie in ihren aufregenden Improvisationen eingehen und diese Freude springt über.
Schlagzeuger Rudy Royston, Bassist François Moutin, Pianist Bobby Avey, Gitarrist Rez Abbasi und Altsaxophonist Rudresh Mahanthappa spielen erhaben, über alle technischen Limits, über Klischees, über musikalische Grenzen hinweg. Natürlich, diese Musik ist laut, streckenweise sehr laut, aber sie verliert nie ihre Sinnlichkeit.
Was für ein Abschluss des BMW Welt Jazz Awards 2019, einer der gezeigt hat, wie weit, ausdrucksstark und positiv die "Saxophone Worlds" sein können.
Jetzt steigt die Spannung, welche beiden Saxophonstimmen im Finale am 4. Mai 2019 im Auditorium der BMW Welt zu erleben sein werden.
Yamaha 62 (1980er)
Meyer 6
Vandoren Java 2,5
Rudresh Mahanthappa wollte sich zuerst nicht zu seinem Material äußern. Er sagte, Charlie Parker spielte jeden Abend ein anderes Saxophon und immer klang er nach Charlie Parker. Mahanthappa hat nie ein anderes Saxophon und ein anderes Mundstück als die oben genannten gespielt. Das Saxophon hat er zu seinem 18. Geburtstag von seinen Eltern bekommen. Bei den Blättern wechselte er von 3,5 über 3 zu 2,5 damit das spielen nicht so anstrengend sei. Es liegt also doch am Menschen und nicht am Instrument, wie man klingt.
"Was für ein schönes Auto", denkt so mancher Besucher der BMW Welt in München. "Was für eine schöne Musik", kommt einem in den Sinn im Doppelkegel beim BMW Welt Jazz Award, wenn man die estnischen Altsaxophonistin Maria Faust mit ihrer Band "Machina" hört. Dunkle Melodien, düstere Harmonien, tiefgründige Melancholie durchflutet den Doppelkegel, das "Space ship", wie Maria Faust das Gebäude gleich zu Beginn ihres Konzertes nennt.
Bildquelle: Rainer Haeckl
Saxophone Worlds
Maria Faust beim BMW Welt Jazz Award
Passt das? Das passt! Sehr stark auskomponierte Musik zwischen der wirkungsvollen Einfachheit der estnischen Folklore eines Arvo Pärt, der russischen Romantik eines Alexander Glasunow oder den spannungsvoll-subtilen Jazz-Arrangements etwa von Oliver Nelson. Geschrieben ist das Ganze für überraschend ungewöhnliche Besetzung: Zwei Kontrabässe, Klavier, Cello, Tenorsaxophon und Altsaxophon.
Bildquelle: Rainer Haeckl
Dabei liefern die Saxophone von Bandleaderin Faust und Ned Ferm sowie das Cello von Ida Nørholm die mal griffig-simplen, mal komplex-geflochtenen Themen. Pianist Jacob Anderskov ist das füllende Orchester und er bildet immer wieder die improvisatorischen Brücken zwischen den Stücken. Die beiden Kontrabassisten Nils Bo Davidsen und Adam Pultz Melbye sind für den avantgardistischen Part zuständig und sorgen für sperrige Reibungen. Alle Musiker leben in Kopenhagen und sind in der Szene dort äußerst aktiv.
Maria Faust besitzt eine perfekte Kontrolle über ihr Instrument und sie lässt all die in der modernen Klassik üblichen Spieltechniken erklingen: Spalt- beziehungsweise Mehrklänge, Flageoletts, Flatterzunge und so weiter. Ihre Improvisationen wirken dabei allerdings abgezirkelt und stark vorstrukturiert, für das Spiel aus dem Bauch heraus ist Ned Ferm zuständig. Der US-Amerikaner lässt sein Tenorsaxophon mal so gewaltig aufschreien, dass so mancher Zuhörer im Doppelkegel vor Überraschung auffährt. Ferm ist der große Jazzpart dieser Band, die als Ensemble zeigt, wie weit "Saxophone Worlds" gehen und wie großartig eine gutgeölte, eingespielte "Machina" funktionieren kann.
Maria Faust
Saxophon: Selmer Mark VI Alto
Mundstück: Mayer 7
Blätter: Rico Jazz Select 3 Hard
Ned Ferm
Saxophon: King Super 20 Tenor (1966) + silberner S-Bogen
Mundstück: Francois Louis Spectruoso 350
Blätter: Rico Jazz Select 4,5 Hard (lagert sie in Wodka)
Ned Ferm benutzt eine Blattschraube mit Namen "DaVinci Ligatur". Sie ist handgemacht von der dänischen Firma SaxWorks und sieht aus wie ein Reifrock um das Mundstück herum. Diese Blattschraube berührt nur an vier sehr kleinen Stellen Mundstück und Blatt, laut Hersteller 2% der Auflagefläche von herkömmlichen Blattschrauben. Die Wirkung ist vergleichbar mit einem Stoßdämpfer, Blatt und Mundstück können besser frei schwingen und der Ton ist voller.
Matthieu Bordenave ist anders. Es gibt diese Saxophonisten, häufig spielen sie das kraftvolle, laute Tenorsaxophon, die stehen vor einer Band. Coleman Hawkins, Sonny Rollins, natürlich John Coltrane, aber auch Michael Brecker oder Branford Marsalis, sie alle sind Tenorsaxophonisten, die eine Band leiten. Sie sind VOR-Spieler. Schon räumlich sind oder waren sie meist vor den Mitspielern platziert. Sie zeigen die Richtung vor.
Bildquelle: Rainer Haeckl
"Saxophone Worlds"
Mathieu Bordenave Archipel beim BMW Welt Jazz Award
Matthieu Bordenave ist ein MIT-Spieler. Er steht eher am Rand seines Trios, das im Halbkreis steht. Jeden Ton legt er auf die Waagschale: Lieber drei weniger, als einen zu viel. Wenn ein Ton, dann muss er genau die Stimmung treffen, dann muss er dort platziert sein, wo er Bedeutung hat.
Das Klavier ist in seinem Trio "Archipel" das Orchester, Pianist Florian Weber hat viel Raum, er liefert die Struktur, er darf üppige Klanglandschaften und perlende Akkordbrechungen erklingen lassen. Kontrabassist Patrice Moret und Tenorsaxophonist Matthieu Bordenave sind zwei Stimmen, die immer wieder Farben zum Orchester geben. Wichtige Farben, die die ganze Atmosphäre ändern könne.
Inspiriert von Gedichten und Aphorismen des französischen Dichters René Char (1907-1988), hat Matthieu Bordenave eine Jazz-Kammermusik komponiert, die aufregend leise ist und eine ganz andere Intensität hat, als die Musik der bisherigen Konzerte beim BMW Welt Jazz Award 2019. Klassisch, impressionistisch, durchaus abstrakt, eine Musik, die keine Erwartungen erfüllt und keinen Konventionen folgt.
Nicht ganz einfach, diese Musik gemütlich am Sonntagvormittag in sich aufzunehmen. Da muss man sich einlassen drauf. Auch spürt man: diese Band steht am Anfang, obwohl alle Beteiligten herrliche, ausgereifte Personalsounds haben. Dieses Trio sucht, und es ist aufregend und anspruchsvoll, diese Suche mit den Ohren zu begleiten.
Saxophon: SML Marigaux Gold Medal Tenor von 1956
Mundstück: Francois Louis 350 SP (entspricht der Bahnöffnung 11 bei Otto Link)
Blätter: Rigotti Gold Jazz 4,5
Bildquelle: BMW Welt
BMW Jazz Award 2019
Die Saxophonistin Géraldine Laurent
Wer kennt diese Frau? Einer meldet sich im vollbesetzten Doppelkegel der BMW Welt in München. Eine Unbekannte spielt heute, aber rund zwei Stunden später wird sie wohl kaum jemand der Anwesenden wieder vergessen: die französische Saxophonistin Géraldine Laurent.
Kraftvoll, kernig und rund ist der Sound ihres silbernen Altsaxophons, aber immer schwingt auch ein zarter Unterton mit. Ihre Musik ist ausdrucksstark, hat Wurzeln im Bebop, nimmt aber deutlich spürbar Bezug auf Charles Mingus und dessen kompromisslosen Wucht-Jazz der sechziger Jahre. Géraldine Laurents Kompositionen bewegen sich dabei immer im tonalen Raum, es wird höchstens Mal sperrig, harmonisch frei wird es nie.
Bildquelle: Lobeco Äußerst gelungen ist ihr blitzschnelles Spiel mit unterschiedlichen Tempi und Taktarten. Hier verzögert die Band, da beschleunigt sie überraschend, dort wird ein anderer Takt eingestreut: Eine Musik voller Überraschungsmomente, aber ohne übertriebene Effekte. Das gelingt der Saxophonistin auch deshalb so hervorragend, weil ihre Band perfekt eingespielt ist. Das Rhythmusgespann mit Bassist Yoni Zelnik und Schlagzeuger Donald Kontomanou liefert ein erdig-swingendes Fundament, das auch durch eine klare Soundvorstellung besticht: ein holzig-runder Kontrabassklang sowie klar-transparente Beckensounds gepaart mit perfekt gestimmten Trommeln. Das ist nicht alltäglich und eine große Hörfreude.
Der Mann an den Tasten ist, ebenso wie die Bandleaderin, ein Unbekannter, sollte es aber hoffentlich nicht bleiben. Paul Lay spielt herrlich sanfte, leicht impressionistische Melodielinien, kann aber auch krachend verdichtete Blockakkorde gegen ultravirtuose Skalen in beiden Händen setzen. Immer wieder rollt sein Handrücken über die Tasten des Flügels, expressiv und lyrisch. Eine Entdeckung beim BMW Welt Jazz Award 2019, genau wie Saxophonistin Géraldine Laurent. Ein Silbersound, der in Erinnerung bleibt.
Saxophon: Selmer Super Action Alto Serie II (versilbert)
Mundstück: Meyer M7
Blätter: Hemke Premium 2 1/2
Bildquelle: Rainer Haeckl Draußen knirscht der frischgefallene Schnee unter den Schuhen und ein nasskalter Wind weht, drinnen wird man mitgerissen von den knackigen Saxophonsounds und angesteckt von lodernder Energie.
Céline Bonacina mit dem tiefen Bariton- und dem hohen Sopransaxophon, Pianist Leonardo Montana, Bassist Chris Jennings, und Schlagzeuger Asaf Siriks strahlen eines ganz besonders aus: Freude an der Interaktion.
Würde man die musikalischen Ballwege der vier auf eine Schautafel mit Pfeilen malen, sie verliefen wild kreuz und quer. Jeder bringt hier jeden ins Spiel, passt aus den unmöglichsten Positionen. Jeder Ball wieder angenommen, auch waghalsig in der Luft, und direkt weitergespielt: Ton-Stafetten der vitalsten und knisterndsten Art.
Dabei ist manch einer immer wieder auch etwas zu ballverliebt und vergisst abzuspielen. Das ein oder andere Solo wird etwas zu ausführlich oder landet in den Tiefen des Raumes.
Aber insgesamt, so könnte man es am Ende vor der Presse zusammenfassen, eine geschlossene Mannschaftsleistung mit großem Spielwitz und wirklich feinen Spielzügen, sprich Kompositionen.
Natürlich, immer wieder fragt man sich, egal ob man will oder nicht, wie so eine zierliche Person auf die Idee kommt, sich so ein Blechungetüm um den Hals zu hängen? Céline Bonacina und ihr Baritonsaxophon sind ungefähr gleich groß. Die Antwort: Sie wollte Bach-Cellosuiten in den Originaltonarten auf dem Saxophon spielen und das geht am besten auf dem Bariton. Außerdem liebt sie die Mischung aus Power und Poesie - und die kann sie auf dem Baritonsaxophon am besten ausbalancieren.
Bariton:
Saxophon: Selmer Serie 3
Mundstück: Vandoren B7 (Ebonit)
Blätter: D'Addario 4S
Sopran:
Saxophon: Selmer Mark VI
Mundstück: Otto Link 7* (Metall)
Blätter: D'Addario 3M
Ein Oldtimer kann ziemlich modern sein. Zeitlos ist er allemal und man muss ihn nicht unbedingt schonen. Maciej Obaras Oldtimer stammt aus dem Jahr 1947 und heißt Selmer Super Balanced Action und ist ein herrliches Altsaxophon. Damit kann der polnische Saxophonist luftig-weite Klangwolken zaubern, aber auch unglaublich energetische Tongewitter aufziehen lassen. Mit seinem Quartett eröffnete er am 27. Januar den Reigen des BMW Welt Jazz Awards und legte ganz schön vor.
Bildquelle: Rainer Haeckl In Obaras vitalem Spiel findet sich die Kraft des frühen polnischen Jazz, geprägt durch Legenden wie Pianist Krzysztof Komeda oder Trompeter Tomasz Stańko, aber auch eine melodiöse Dichte und Kompaktheit, die der Jazz im 21. Jahrhundert besonders in Europa erlangt hat. Dabei ist Maciej Obara ein absoluter Teamplayer, er spricht nicht von Bandkollegen, er spricht von Freunden und meint damit den polnischen Pianisten Dominik Wania, und die beiden norwegischen Spitzenmusiker, Bassist Ole Morten Vågan und Schlagzeuger Gard Nilssen. In diesem Quartett herrscht, passend zum Instrument, eine super Balance. Jeder ist Solist, Begleiter, Melodie- oder Rhythmusgeber. Die vier spielen eine Musik, in der die übliche Rangordnung des Solisten und der Begleiter aufgehoben scheint. Das Quartett agiert fast immer gemeinsam, wie das bei Freunden halt so ist. Sie entwickeln zusammen einen dramaturgischen Bogen aus den Kompositionen. Die Noten sind mehr Spickzettel, als konkrete Spielanweisung. Ganz viel ergibt sich aus dem Moment heraus und dabei entsteht eine lebendige, mitreißende, hochspannende Musik.
Ein vielversprechender Start in den Wettbewerb.
Instrument: Selmer Super Balanced Action Alto 1947
Mundstück: Britone (Brilhardt-Nachbau, refaced), Bahnöffnung 7-8
Blätter: Vandoren Classic 2
BR Jazzclub am 12. April 2019 ab 23.05 Uhr
Estnisch kantig - indisch komplex Highlights aus den Matinee-Konzerten der estnischen Saxophonistin Maria Faust und ihrer Band "Machina" und des indisch-amerikanischen Saxophonisten Rudresh Mahanthappa beim BMW Welt Jazz Award 2019 Aufnahmen vom 10. und 24. März 2019 Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer
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